Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
keine großen Erfolge vorweisen konnte, weil fast das gesamte New South Wales Corps geschlossen gegen ihn Front machte, bis hoch zum Kommandeur der Truppe. Zahlreiche Händler und Siedler, die das Rum-Monopol endlich abgeschafft wissen wollten, hatten Melvin Chandler, der das Vertrauen des Gouverneurs genoss, zu ihrem Sprecher ernannt. Dementsprechend viel war er unterwegs. Manchmal sah Abby ihn für Tage nicht, sondern hörte ihn nur spät in der Nacht heimkehren.
Sarah machte ihr kaum Arbeit. Melvin hatte den Wünschen seines Vaters entsprochen und dafür gesorgt, dass Sarah Unterricht im Pianospiel, in gutem Benehmen und in Konversation erhielt. Damit war sie den Großteil des Tages beschäftigt.
Abby blieb da nicht viel zu tun. Was war das bisschen Waschen, Putzen und Kochen schon im Vergleich zu den Arbeiten auf der Farm. Da war sie immer todmüde, aber zufrieden auf ihr Bett gesunken und hatte sich aber dennoch stets auf den nächsten Morgen gefreut.
Jetzt lag sie nachts oft lange wach und fühlte sich tagsüber wie eingesperrt, obwohl sie mehr Freiheiten genoss als je zuvor. Aber es reizte sie nicht, ziellos durch die Straßen zu spazieren und mit anderen Frauen Klatsch auszutauschen. Gelegentlich schaute sie bei Rachel herein, und dann vergaß sie ihren wachsenden Kummer für eine Weile. Doch da Rachel ihrem Mann tatkräftig zur Hand ging, achtete Abby streng darauf, dass sie ihre Freundin nicht zu häufig von der Arbeit abhielt.
Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einmal so sehr nach dem Leben auf der Farm zurücksehnen würde, und die Sehnsucht wurde von Tag zu Tag stärker. Ihr fehlte der vertraute Umgang mit den Tieren, das Blöken der Schafe und das ausgelassene Wiehern der Pferde auf der Koppel. Das erste grüne Sprießen der Aussaat und die Größe der Weizenähren interessierten sie mehr als Mode und Klatsch. Und mochte das Waschkabinett im Haus auch zehnmal praktischer sein als ein Bad im Fluss, so wünschte sie doch, wieder dort in den Fluss zu steigen und sich von den Fluten umspülen zu lassen. Das Leben in der Stadt war einfach nichts mehr für sie.
Und sie vermisste auch Andrew, was sie am meisten verwunderte. Obwohl er ihr gegenüber oft mürrisch und kurz angebunden gewesen war, fehlte er ihr schmerzlich. Häufig dachte sie an ihn, sah ihn vor ihrem geistigen Auge und fragte sich, wie es ihm wohl ging und was er tat. Die Erkenntnis, dass sie Andrew trotz seines oftmals unverständlichen Verhaltens ihr gegenüber sehr gern hatte, war die überraschendste Erfahrung, die sie in Sydney machte.
Wie aufgeregt und außer sich vor Freude war Abby daher, als Melvin Mitte Dezember verkündete, dass sie für ein paar Wochen nach Yulara zurückkehren und dort bis Anfang des neuen Jahres bleiben würden. Sie hatte Mühe, ihre Ungeduld vor Sarah und ihrem Bruder zu verbergen. Sie konnte es nicht abwarten, auf die Farm zurückzukehren. Sie fieberte diesem Tag, dieser Stunde entgegen. Als sie nach langen Monaten der Abwesenheit endlich wieder den Hawkesbury River und die Farm erblickte, musste sie sich fest auf die Lippen beißen, um die Tränen zurückzuhalten.
»Ob Andrew sich auch freut, dass wir wieder zurück sind?«, fragte sie sich im Stillen und schalt sich sofort eine Närrin.
Warum sollte er sich freuen, sie wieder zu sehen? Sie war doch nur ein Sträfling.
Als Andrew mit seinem Vater auf der Veranda erschien, schlug ihr Herz schneller. Sie lächelte, ohne dass sie es merkte.
Wie schön es doch war, ihn wieder zu sehen. Nur, so gut aussehend hatte sie ihn gar nicht in Erinnerung gehabt. Wie groß und stattlich er aussah. Zwanzig musste er jetzt ein. Ein richtiger Mann.
»Oh, die vornehmen Herrschaften aus Sydney geben uns die Ehre!«, begrüßte Andrew sie, als bei ihrer Ankunft alles zusammenlief.
Abby hielt sich abseits und vergewisserte sich bei Rosanna, die ihr freudestrahlend um den Hals fiel, dass sie wieder bei ihr in ihrem Bett schlafen konnte.
Als sie zur Hütte ging, tauchte Andrew auf einmal neben ihr auf. »Richtig hübsch siehst du aus, Abby. Und dieses Kleid steht dir auch ganz prächtig. Sydney scheint dir wirklich gut zu bekommen.«
Sie errötete unter seinem Kompliment.
»Mein Bruder sorgt bestimmt gut für dich, nicht wahr?« Ein merkwürdiger Unterton schwang in seiner Stimme mit.
»Ja, er ist sehr großzügig«, gestand Abby.
»Das glaube ich dir gern. Na, kannst du jetzt auch schon ein Lied auf dem Piano klimpern?«, fragte er spöttisch.
»Nein! Warum sollte
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