Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Titel: Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
schmerzliche Verlust eines Menschen, an dem man hing. Es war ihr, als dürfte Rachel vor allem deshalb nicht sterben, damit Gefangene wie Cleo, Nellie und Celie nicht Recht behielten und mit ihrer gemeinen, mitleidlosen Menschenverachtung triumphierten. Das Böse, Abgründige und Hasserfüllte durfte nicht immer und immer wieder den Sieg erringen!
    Der Schiffsarzt zuckte mit den Schultern. »Ich will es hoffen. Es ist noch zu früh, um etwas Genaueres sagen zu können.
    Aber wenn sie diese Nacht übersteht, kann man wieder Hoffnung haben. Ich glaube, dass es sich in dieser Nacht entscheidet, auf welcher Schale der Waage von Leben und Tod die schwereren Gewichte liegen.«
    »Sie wird es überstehen. Bestimmt. Sie ist stark und wird kämpfen!«, flüsterte Abby beschwörend, als könnte die Kraft ihrer Worte Hoffnung zu Wirklichkeit werden lassen.
    Mortimer Cranston legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    Eine Geste, die Trost und Zuspruch ausdrücken sollte, bei Abby jedoch das Gegenteil bewirkte. Ihr war eher so, als ginge die Ernüchterung und Illusionslosigkeit, die den grauhaarigen Schiffsarzt umgaben, auch auf sie über. Und die Worte, mit denen er sie allein ließ, waren genauso wenig tröstlich.
    »Du bist ein tapferes Mädchen, das seinesgleichen sucht.
    Aber ich fürchte, du wirst noch tapferer sein müssen, falls der Tod doch einkehrt. Ich lasse dir noch etwas Laudanum hier, das nimmt notfalls den Schmerz und betäubt Geist wie Körper.
    Denn Sterben ist manchmal ein grausames und einsames Geschäft – und zwar sowohl für den, den der Tod gezeichnet hat, als auch für den, der die letzten Stunden tatenlos an seiner Seite verbringen muss. Möge der Herr mit dir und deiner Freundin sein.« Fast fluchtartig verließ er das Sträflingsquartier, als fürchtete er, Abby könnte ihn noch um irgendeinen Dienst bitten.
    Als Abby wieder allein war, versuchte sie das Grauen, das seine Worte in ihr geweckt hatten, zu verdrängen. Sie weigerte sich einfach, das Endgültige in Betracht zu ziehen. Nie würde sie die Hoffnung aufgeben!
    Sie erinnerte sich plötzlich daran, was sie sich damals im Besucherraum von Newgate geschworen hatte, als Frederick ihr die Nachricht vom Tod ihrer Mutter gebracht hatte. Sie hatte ihr in dieser Stunde hoch und heilig versprochen, niemals aufzugeben und sich von keiner Schwäche des Glaubens oder der Tat in die Knie zwingen zu lassen. Niemals!
    Die Erinnerung daran gab ihr vorübergehend neue Kraft und sie versuchte sich mit Gedankenspielen wachzuhalten. Die letzten Tage hatte sie wenig Schlaf bekommen, viel zu wenig Schlaf. Ihr Körper war ausgelaugt und schrie mit jeder Faser förmlich danach, sich auf der Pritsche auszustrecken und die Augen zu schließen.
    Doch sie durfte diesem Verlangen nicht nachgeben. Sie hatte Angst, Rachel nicht zu hören, wenn sie von alptraumhaften Fieberphantasien geplagt wurde und im Delirium wimmerte.
    Und wer benetzte ihre Lippen, wenn sie Durst hatte, und kühlte ihre glühende Stirn?
    Der Gedanke, dass ihre Freundin sterben könnte, während sie schlief, quälte sie und half, die Augen noch eine halbe Stunde offen zu halten, und noch eine halbe Stunde. Doch es wurde immer schwerer, der Versuchung zu widerstehen.
    »Du darfst nicht! Du darfst nicht!«, sagte sie sich ständig selbstbeschwörend, doch ihre Widerstandskräfte schwanden mit den Stunden, die verstrichen.
    Sie zog den Becher unter dem Bett hervor. Der Arzt hatte ihn mitgebracht. Er war noch fast randvoll, denn Rachel hatte nicht viel getrunken. Jetzt versuchte sie noch einmal, ihr davon einzuflößen. Wieder mit wenig Erfolg. Aber dennoch, jeder noch so kleine Schluck, der seinen Weg über ihre Lippen fand, war wichtig.
    Abby stellte den Becher ab. Jeder Knochen schmerzte sie.
    Ständig an ihrem Bett zu hocken oder über ihr zu kauern, die Querstreben des oberen Bettes schmerzhaft im Rücken, kostete mehr Kraft, als sie nach den Strapazen der vergangenen Tage noch aufbringen konnte. Megan hatte ihr zwar geholfen, doch ihren Schlaf zu opfern und mit ihr Nachtwache an Rachels Koje zu halten, das hatte sie nicht angeboten. Und sie war zu stolz gewesen, darum zu bitten. Außerdem konnte sie Megan nur zu gut verstehen. In einer so brutalen, rücksichtslosen Gemeinschaft, wie Sträflinge sie bildeten, musste jeder zuerst einmal seinen eigenen Vorteil im Auge behalten, wenn er sich behaupten und überleben wollte. Alles andere war zweitrangig. Abby dachte da zwar anders, doch das hinderte sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher