Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
ihm besonders freundlich sagst, was für ein elender Schinder er ist.«
Sean spuckte verächtlich aus. »Wart’s nur ab, eines Tages tu ich es wirklich!«
»Spar dir deinen Atem und lass uns lieber diesen verfluchten Wurzelstock aus der Erde holen«, brummte Aron, dem das Gerede nicht passte – weil Abby in Hörweite war. »Gib mal das Seil her, Nat. Und pack mit an!«
Abby richtete sich auf, um ihren schmerzenden Rücken für einen Augenblick zu strecken. Dabei blickte sie zu Andrew hinüber. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Manchmal war er freundlich und sagte ihr ein nettes Wort. Doch das war die Ausnahme. Meist behandelte er sie, als wüsste er nicht, was er mit ihr anfangen sollte, war bissig in seinen Bemerkungen und gelegentlich sogar verletzend.
Und die Arbeit war ihm heilig. Andrew schien versessen darauf zu sein, diese über hundertfünfzig Morgen wildes Land innerhalb von wenigen Monaten in eine blühende Farm zu verwandeln, was ein Unding war, wie er wohl selbst wüsste. Aber das hinderte ihn nicht daran, mit eiserner Verbissenheit ein Projekt nach dem anderen voranzutreiben. Doch mit dem, was er zu seinem Bruder über den Rum gesagt hatte, hatte er Recht.
Ohne Rum waren die Sträflinge nicht bereit zu arbeiten. Sie hatten sogar ein Anrecht auf ihre wöchentliche Ration, die Abby schon großzügig genug fand, den Männern aber immer noch nicht reichte. An Sonntagen ließen sie sich damit voll laufen und grölten dann betrunken in ihren Hütten. Rum war das, was sie am meisten beschäftigte: Eine Woche Rumentzug war nach der Auspeitschung für sie die härteste Strafe, und nur mit einer Extraportion Rum leisteten sie zusätzliche Arbeit.
Die drei Iren Sean, Aron und Nat bildeten da keine Ausnahme. Im Gegensatz zu vielen anderen Iren in der Kolonie verdankten sie ihre Verbannung nicht politischen Gründen, weil sie sich etwa gegen die britische Vorherrschaft in ihrem Lande aufgelehnt und zu den Rebellen gehört hätten. Sie waren Schurken und Straßenräuber gewesen, wie man sie in jedem Land finden konnte.
Abby hielt sich fern von ihnen, wenn es möglich war. Ihre Flüche und Redensarten widerten sie an. Doch nicht immer konnte sie sich aussuchen, welchem Arbeitskommando sie zugeteilt wurde.
Andrew hatte den Stamm mittlerweile durchgesägt, legte die Säge nun aus der Hand und drehte sich zu ihnen um. Abby war froh, dass sie gerade einen schweren Ast gepackt hatte und damit auf dem Weg zur Sammelstelle war.
»He, Abby! Lauf rüber und sag meinem Bruder, er soll mit dem Ochsengespann herkommen!«, brüllte er ihr zu.
»Ja, mach ich!«, rief Abby zurück und lief zum Farmhaus.
Sie fand Melvin im Stall bei den Pferden und richtete ihm aus, was Andrew ihr aufgetragen hatte.
»Er kann mal wieder kein Ende finden, nicht wahr?«, seufzte er und musterte sie mitfühlend.
Abby zuckte mit den Schultern. »Es gibt eben so viel zu tun«, sagte sie ausweichend.
»Ja, es ist, als ob einem die Zeit davonläuft. Aber mit Gewalt erzwingen kann man es auch nicht«, sagte Melvin. »So, ich werde dann mal die Ochsen anspannen, während du dich um Sarah kümmerst, Abby.«
»Aber das geht nicht!«
»Warum denn nicht?«
»Ihr Bruder wird es nicht gern sehen, wenn ich schon vor Feierabend mit Sarah zusammen bin. Er hat mir eine Arbeit zugeteilt und …«
»Und ich befreie dich davon!«, unterbrach Melvin sie energisch. »Sarah ist schon ganz unglücklich, dass keiner richtig Zeit für sie hat. Die eine Stunde abends, die du bisher mit ihr verbracht hast, ist entschieden zu wenig, da bin ich mir mit meinem Vater einig.«
»Ja, aber Andrew …«
»Mach dir wegen ihm keine Sorgen, Abby. Ich werde mit ihm reden. Noch ist er ja nicht Herr hier auf Yulara«, sagte er und fügte mit einem Schmunzeln hinzu: »Obwohl er es eines Tages sicherlich sein wird.«
»Aber Sie sind doch der Erstgeborene!«, wandte Abby verwundert ein.
Melvin lächelte gequält. »Die Landwirtschaft ist meine Leidenschaft nicht, was auch kein Geheimnis ist. Ich werde meine Pflicht tun, wie es von mir erwartet werden kann. Doch sobald die Farm aufgebaut ist und auf eigenen Füßen steht, werde ich mich nach einer Tätigkeit umsehen, die meinen Veranlagungen und Interessen mehr entgegenkommt. Und in einer so jungen Kolonie wie New South Wales gibt es für einen unternehmungsfreudigen Geist sicherlich viele Möglichkeiten, die nicht gerade mit Ackerbau und Viehaufzucht zu tun haben.«
»Dann werden Sie Yulara verlassen?«, fragte Abby
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