Abby und Schneewittchen in Gefahr: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Er hat wirklich ziemlich viele Haare. Kinnbarthaare, Schnurrbarthaare, Kopfhaare. Und Brusthaare, die aus seinem Ausschnitt gucken. »Hast du denn von den letzten beiden Malen, als du die Tür geöffnet hast, gar nichts gelernt?«
»Ich weiß ja«, seufzt Schnee. »Aber die beiden haben sich verlaufen.«
»Genau«, bestätige ich. »Wir haben uns bloß verlaufen. Bitte tun Sie uns nichts.«
Alan schüttelt den Kopf. »Aber du sollst doch nicht mit Fremden reden.«
»Fremde sind Freunde, die ich noch nicht kennengelernt habe«, sagt Schnee, doch dann sieht sie auf einmal sehr traurig aus. »Das hat mein Vater immer gesagt.«
»Sie brauchen keine Angst vor uns zu haben«, verspreche ich, und dabei hebe ich die Hände hoch als Geste, dass ich unbewaffnet bin. »Wir würden keiner Fliege etwas zuleide tun.«
Schnee nickt. »Sie haben mich vor meiner Stiefmutter gerettet. Sie war nämlich schon wieder hier und wollte mir einen vergifteten Apfel geben, aber die beiden haben das verhindert.«
»Nicht schlecht«, meint Enid. Dann fährt sie sich mit der Hand durch ihre rosa Haare.
Frances lässt den Gehstock sinken.
Tara zieht an ihrem Zopf.
Bob zupft an seinem Bart.
Jon sieht einfach weiter gut aus.
Alan nickt. »Ich schätze, wir sollten uns bei euch bedanken.«
»Vielen Dank«, sagen alle Zwerge auf einmal.
Vor Freude werde ich ganz rot. »Keine Ursache.«
Jonah streckt stolz die Brust raus. »Immer wieder gerne.«
»Wie wäre es mit immer?«, grummelt Frances. »Jedes Mal, wenn wir sie alleine lassen, unternimmt ihre Stiefmutter irgendetwas Schreckliches. Wisst ihr, wie schwierig es ist, jemanden fürs Kochen und für die Hausarbeit zu finden? Hey, seid ihr beide nicht auch auf der Suche nach einer Bleibe?«
»Cool!«, jubelt Jonah.
»Sie ist nicht nur unsere Haushälterin«, sagt Alan und sieht Frances dabei vorwurfsvoll an. »Sie ist wie eine kleine Schwester für uns.«
Klein? Schneewittchen ist zweimal so groß wie die Zwerge.
»Ich finde es irgendwie traurig, dass du als Prinzessin kochen und putzen musst«, sage ich und denke, wie unfair das alles doch ist. »Aber wahrscheinlich kannst du nirgendwo anders hingehen.«
»Es macht mir nichts aus«, sagt Schnee. »So bin ich beschäftigt. Sonst müsste ich den ganzen Tag daran denken, dass …« Doch dann bricht sie mitten im Satz ab. Doch ich weiß ja, dass sie es in letzter Zeit ganz schön schwer gehabt haben muss mit ihrer Stiefmutter, die versucht, sie zu töten und so, deswegen frage ich nicht weiter nach.
Die arme Schnee. Ich schaue zu meinem Bruder. »Jonah, wir können nicht hierbleiben. Wir müssen nach Hause. Mama und Papa werden sich Sorgen machen, wenn sie aufwachen und wir nicht da sind.« Obwohl es natürlich ziemlich toll wäre, noch eine Weile im Märchen zu bleiben. Ich meine, wie viele Leute haben schon die Gelegenheit, das echte Schneewittchen kennenzulernen?
»Aber wir wissen doch gar nicht, wie wir nach Hause kommen«, sagt Jonah.
»Wir sollten zurück in den Wald«, sage ich. »Vielleicht finden wir den Weg zurück, wenn wir dahin gehen, wo alles angefangen hat.«
Das einzige Problem ist nur, dass ich nicht mehr weiß, wie wir wieder dahin kommen. Ich hätte den ganzen Weg entlang Brotkrumen fallen lassen sollen, so wie bei Hänsel und Gretel. Ich frage mich, ob sich die Leute aus den Mär chen möglicherweise alle untereinander kennen. »Hey, kennt ihr zufällig Gretel?«, frage ich. »Die Schwester von Hänsel?«
»Wen?«
»Ach, egal.« Wahrscheinlich würde ein armes, von den Eltern verstoßenes Mädchen wie Gretel eh keine Prinzessin kennen.
»Könnt ihr nicht wenigstens noch zum Essen bleiben?«, fragt Schnee.
»Ja!«, ruft Jonah. »Ich bin am Verhungern.«
»Ich treffe hier die Entscheidungen«, sage ich. »Ich bin die Ältere.« Da knurrt mein Magen.
Irgendwie habe ich ja auch Hunger. Und wir sind heute ganz schön viel gelaufen.
Ich bin die Ältere und trage die Verantwortung. Ich muss dafür sorgen, dass wir auftanken, bevor wir uns wieder auf den Heimweg machen.
Und außerdem sind draußen knurrende Tiere.
Und eine rachsüchtige Stiefmutter.
»In Ordnung«, sage ich. »Wir bleiben.«
Kapitel 9
So geht die Geschichte nun mal
I ch verstehe das nicht«, sagt Stan, während er seine riesigen Zähne in ein Stück Fleisch aus dem Eintopf haut. »Woher wusstet ihr denn, dass die alte Frau in Wirklichkeit die böse Königin war?«
»Weil wir die ganze Geschichte kennen«, erkläre ich. »Wir haben sie
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