Abby und Schneewittchen in Gefahr: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
zwölf. Wie kann das sein?! Es war doch gerade kurz vor Mitternacht, als wir vom Spiegel verschluckt wurden. Und wir sind bestimmt mehrere Stunden herumgelaufen. Vielleicht ist die Batterie alle, und die Uhr ist stehen geblieben? Oder die Uhr ist deshalb stehen geblieben, weil zu Hause die Zeit stehen ge blieben ist. Wieso nicht? Kann doch sein? Und wenn wir wieder nach Hause kommen, ist es immer noch genauso spät, wie als wir gegangen sind, und Mama und Papa haben uns gar nicht vermisst. Perfekt!
Als ich aus dem Fenster sehe, ist es tatsächlich schon ganz schön dunkel draußen. Und unheimlich. Und außerdem kann ich nicht gehen, ohne Schnees Geschichte wieder in Ordnung gebracht zu haben. Das geht einfach nicht. Das wäre nicht fair.
»Können wir wirklich bleiben?«, frage ich, denn ich will mich nicht aufdrängen.
»Selbstverständlich«, sagt Alan.
Cool, eine Pyjamaparty im Märchen! »Okay, wir bleiben.«
»Jonah!«, raune ich ihm ein paar Stunden später zu. »Du hast mich gerade ins Gesicht getreten!«
Alan hat leider vergessen zu erwähnen, dass Jonah und ich uns ein Bett teilen müssen.
Meine Füße hängen über den Rand, und die Füße meines Bruders sind für meinen Geschmack viel zu nah an meinem Mund. Wir schlafen an entgegengesetzten Enden des kleinen Zwergenbettchens in Schnees Zimmer.
Wie soll ich so bloß schlafen?! Und ich muss doch dringend schlafen. Ich bin schrecklich müde. Ich bin schon seit mindestens zigtausend Stunden wach. Okay, ich übertreibe. Ich weiß eigentlich gar nicht, wie lange ich schon auf bin, seit meine Uhr stehen geblieben ist. Aber ich muss trotzdem schlafen, um mir einen Plan einfallen zu lassen, wie wir Schnees Geschichte wieder in Ordnung bringen können. Und dann wieder nach Hause kommen.
»Entschuldigung«, sagt Jonah. Und dreht sich um. Und wälzt sich. Und dreht sich wieder um. Und wälzt sich weiter. »Ich bin überhaupt nicht müde. Können wir nicht auf Ent deckungstour gehen? Ich will Krokodile sehen. Und Drachen. Und Piraten. Und …«
»Pst«, mache ich und zeige auf das Bett neben unserem. »Schnee schläft. Und du solltest jetzt auch besser schlafen. Wir gehen jetzt nicht auf Entdeckungstour. Wir müssen uns was überlegen, wie wir Schnees Geschichte wieder in Ordnung bringen können. Und dann müssen wir uns was einfallen las sen, wie wir wieder nach Hause kommen.«
»Ihr braucht meine Geschichte nicht in Ordnung zu brin gen«, meldet sich Schnee zu Wort. »Mir geht es doch gut hier.«
»Du bist ja wach«, sage ich. »Haben wir dich geweckt?«
»Ich schlafe nie besonders gut«, gibt Schnee zu. »Nicht mehr seit …« Sie bringt den Satz nicht zu Ende.
»Seit was?«, fragt Jonah.
»Seit mein Vater gestorben ist«, sagt sie leise. Sogar im Dunkeln kann ich ihren traurigen Gesichtsausdruck erkennen. »Meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt gestorben, ich habe sie also gar nicht gekannt. Dann hat mein Vater wieder geheiratet und ist ein paar Jahre später auch gestorben. Und die fiese Elise mochte mich noch nie besonders.«
»Wie war es denn, mit ihr zusammenzuleben?«, frage ich.
Da schnieft Schnee. »Sie hat mich einfach ignoriert. Im Schloss gab es jede Menge Bedienstete, sodass sie sich gar nicht um mich kümmern musste. Und dann hat sie eines Tages angefangen, mich immerzu anzustarren. Das war wahrscheinlich, als der Spiegel ihr erzählt hat, dass ich hübsch sei.«
Ich seufze. Es tut mir ja soo leid für Schnee. Wir müssen ihre Geschichte wieder in Ordnung bringen. Es ist einfach nicht fair! Warum sollte Schnee für die Zwerge kochen und putzen müssen, wenn sie ihr eigenes Schloss haben kann? Warum soll die fiese Elise mit ihrer ganzen Boshaftigkeit einfach so davonkommen? Und was ist mit dem Prinzen? Wenn wir die Geschichte nicht wieder hinkriegen, wird Schnee ihm niemals begegnen, und sie werden sich nicht verlieben und nicht glücklich bis an ihr Lebensende zusammenleben.
»Es tut mir so leid, dass wir die fiese Elise gestern aufgehalten haben«, sage ich.
»Ach, mach dir deswegen keine Gedanken«, sagt Schnee. »Meine Stiefmutter wird es bestimmt noch mal versuchen. Sie hat es schon dreimal versucht.«
»Warum lässt du sie denn immer wieder rein?«, fragt Jonah.
Voller Kummer blickt sie auf ihre Hände. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hoffe ich jedes Mal, dass es jemand anders ist. Dass es nicht wahr ist, dass sie mich so sehr verabscheut. Mein Vater sagte immer, man muss an das Beste im Menschen
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