Abdruecker (Splattergeschichten)
der Rolle ihrer eigenen Agentin und als Stück Fleisch. Zek wusste, wie sie argumentieren würde. Sie dachten alle so, rechtfertigten vergleichbare Handlungen vor sich selbst mit dem Argument, es stünde ihnen ein Lohn zu für den Aufenthalt auf der "Farm", wie der Herr den Landsitz neuerdings gerne nannte. Aber es gibt keinen Lohn für die Gnade, erwählt zu sein. Standen ihr also der Wagen und der Koffer zu? Nein. Eine Nummer hat kein Leben, war dazu der Spruch ihres Herrn, und wer nicht lebt, kann nichts verdienen.
Und er? Was ging in Zek vor, wenn er da Nr. 56 Richtung Westen folgte in einem alten Wagen, eine ganze Nacht lang? Dieser Wagen war ja das Letzte. Warum bekam er nicht einen der schnellen, neuen Schlitten, die dort zu Dutzenden standen? Weil der Herr sparsam war, das war das eine. Der Gedanke, einen Premiumwagen in der Tundra zuschanden zu fahren, einen der Wagen, den er sammelte, der konnte eigentlich gar nicht aufkommen. Aber es gab ja Dienstwagen, die schneller waren als diese Kiste hier. Trotzdem hatte Zek keinen Dienstwagen bekommen. Das war der Humor des Herrn. Wahrscheinlich sollte Zek zeigen, dass er damit zurechtkam. Dass er über die Situation hinauswuchs, seinen wahren Wert zeigte. Für den Herrn gab es nichts als Werte, und wenn einer nicht immer wieder mal seinen wahren Wert zeigte, verlor er jeden Wert, wurde unbrauchbar. Man wusste, was das für die Karriere eines Wachmanns bedeutete.
Zwölf Stunden Tagträume, und das nachts. Wie wäre es, wenn er einfach den Koffer der Nr. 56 nehmen und dann weiter Richtung Westen fahren würde? Bis man ihn schnappen konnte, war er längst über alle Berge, und das mit einem Haufen Geld. Man konnte damit ein neues Leben zusammenkaufen, herausfinden, wer man wirklich war. Denn wer konnte schon mit der Verbannung leben? Wer hier geboren war, empfand es weniger stark, aber es war doch ein Leben außerhalb des Lebens, das man hier führte, wie in einer Blase. Wenn es schon um den wahren Wert eines Menschen ging, stellte sich schon die Frage, ob der hier überhaupt verwirklicht werden konnte.
Apropos Blase. Zek konnte nicht verstehen, wie es Nr. 56 schaffte, so lange zu fahren, ohne einmal zu pinkeln. Es gab Stripperinnen, die sich auf Tricks spezialisierten, mit denen sie ihre Anatomie zur Schau stellen konnten. Es gab rauchende Vaginas, und wahrscheinlich gab es auch endlos pieselnde Harnblasen nach tagelanger Urinsammlung. Auf so etwas schien sich Nr. 56 spezialisiert zu haben. Das war ihre Waffe. Unausdenkbar, wie die Sache ausgehen würde, wenn ihr Verfolger eine nervöse Blase hätte. Dann wäre die Sache gelaufen. Geschlagen mit den Waffen einer Frau beziehungsweise einer besonderen Harnblase, die ihren wahren Wert Stunde um Stunde bewies. Man kennt aus der Biologie auch Kamele, die einmal in zwei Wochen trinken, und dabei Hunderte von Litern in fünf Minuten einsaugen. Gab es aber auch Kamele, die einmal in zwei Wochen Hunderte von Litern in fünf Minuten wieder ausschieden? So stellte sich Zek die Pelzmantelblondine vor, wenn auch physisch nicht die geringste Ähnlichkeit mit Kamelen bestand, wie er gut wusste. Er hatte sie meistens in Gesellschaft anderer Blondinen gesehen. Ihm schien sie, als er sie das letzte Mal beobachtet hatte, vorzeitig alt geworden, verhärmt, mit einem klugen Gesicht. Wie alt mochte sie sein? 35, vielleicht sogar älter. Bitterkeit und Einsamkeit machen so ein Gesicht. Sie hatte mit ihrem Herrn 12 Jahre gelebt. Ja, sie war sehr einsam gewesen. Vielleicht war sie krank. Krebs, dachte Zek. Es gab solche Fälle. Einmal hatte eine der jüngeren Frauen Krebs gehabt, zumindest glaubte man das, und war in den Hubschrauber verfrachtet worden und man hatte seither nie wieder darüber gesprochen. Zek aber wusste, wie die Sache ausgegangen war. Er war damals neben der Frau gesessen, und es war seine Aufgabe gewesen, ihren Sicherheitsgurt zu lösen, die Tür aufzureißen und sie aus großer Höhe hinaus in die Luft zu schleudern. Eine Situation großer Anspannung für Zek damals, aber auch für die Frau. Sie hatte ein süßes Gesicht und eine tolle Brust, wie es das nur bei Frauen unter Dreißig gibt. Die Hände ein bisschen zu groß, das konnte man als Kritik anbringen. Deshalb hatte sie einen Fingernägeltick entwickelt, riesige, klobige Fingernägel mit bizarren Bemalungen, und als er im Vorfeld mit Oleg gesprochen hatte, war es eigentlich nur um die Fingernägel gegangen. Wie sie als Waffe eingesetzt werden konnten. So lange sie
Weitere Kostenlose Bücher