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Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Bach
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draußen ist da etwas. Eben noch war alles so schwarzgrau, wie das nur werden kann, wenn der Nachthimmel eintrübt und sich der Vormorgen diesig macht. Da nun aber längst der Morgen heller graut, kann man auf dem Spiegel des Wassers einen Punkt sehen. Wer aber von draußen herein blickt, wird die Küste als schwarz erleben, denn er ist geblendet vom Himmel. Ich muss also nicht befürchten, dass er mich gesehen hat. Vielleicht aber vermisst er seinen Wagen, und weiß, welche Stunde es geschlagen hat. Ich krieche auf allen Vieren zurück zu seinem Kleiderbündel, raffe es unter einer plötzlichen Idee zusammen und mache mich mit ihm auf den Weg zurück zur Straße. Dort stehen Bäume und, in der Nähe der Straße, findet sich auch Unterholz, in dem ich mich verbergen kann. Von hier aus ist es etwa vierzig Meter bis zu den Dünen. Es ist so ruhig, dass man fürchten muss, das Knacken eines Zweigs würde einen sofort verraten. Also arbeite ich mich, bevor der Schwimmer ganz an den Strand herankommen kann, zur Straße vor. Lange ist es her, dass hier jemand mit dem Wagen durchgekommen ist. Gerade jetzt aber muss es passieren. Es dauert eine ganze Weile, bis aus dem Lichterschein am Horizont, der zuerst Ahnung und dann Gewissheit war, ein paar Scheinwerfer geworden sind und man das Nahen des Wagens hört. Dann ist er nahe, zieht vorüber, verschwindet wieder im Halbdunkel des Morgens. Ich sprinte auf der anderen Seite der Straße, die vom Strand aus nicht eingesehen werden kann, zweihundert Meter hinab und arbeite mich dann wieder im Schutz des Unterholzes vor. Es ist perfekt. Von hier aus blickt man direkt auf die Brandung, an die der Schwimmer bereits herangekommen ist. Ich sehe ihn von hier aus so genau, dass ich ihn sogar erkennen kann. Seinen runden, massigen Kopf. Und die spärlichen Haare, die nass darauf kleben. Und trotzdem schaue ich den Schwimmer nach all diesen Stunden an wie einen Geist. Vier, fast fünf Stunden war er im Wasser unterwegs. In dieser Kälte! Trainiert er für irgend einen Event? Es ist eine Kanaldurchquerung, die Oleg heute Nacht gemacht hat. Bizarr. Ein Sportler. Ein Spitzensportler, seinem Speck zum Trotz.
    Oleg, ja. Natürlich kenne ich ihn. Aber dass es Oleg ist, überrascht mich doch. Raubt mir den Atem. Warum ich jetzt schneller atme? Ich muss mich konzentrieren. Oleg war der Mann, der mich das Töten gelernt hat. Damals war er noch fit, Anfang Vierzig. Er sah zehn Jahre jünger aus, mit einem flachen Bauch, guter Muskulatur und einem siegesgewissen Lächeln, das ihn noch einmal jünger erscheinen ließ. Aber er lächelte nicht oft. Wenn er sich unbeobachtet glaubte, zeigte er die bitteren Falten um den Mund, die sich dort unweigerlich eingraben. Keine Ahnung, ob das das Alter ist oder die Erfahrung des Tötens. Ich kann diese Falten um meinen Mund noch nicht erkennen, aber als weiche Zeichnung kann ich sie mir vorstellen. Ich erinnere mich daran, wie wir das erste Mal getötet haben. Es war der Direktor eines Kraftwerks. Diese Leute kennen sich aus mit Leitungen, und wissen genau, wo was hin fließt und wie sie das umleiten können. Wie es ihm gelungen war, sich dabei in die eigene Tasche zu arbeiten, ist mir schleierhaft. Aber nachdem jedes Netz mit jedem zusammenhängt, und man aus der Tiefe unseres Landes bis Frankreich kommt mit diesen Leitungen, kann ich mir vorstellen, was da passiert ist. Im Kraftwerk selbst schien die Sache nicht so aussichtsreich. Es gab zu viele Leute da, und er war zu sehr Direktor. Man konnte sich die Arbeiter mit Schaufeln und Krampen vorstellen, die sie gegen uns erheben würden, wenn sie merkten, dass wir ihm an das Leben wollten. Also fuhren wir eines Abends zu ihm nach Hause und läuteten, aber es öffnete nur seine Frau, die sehr schön war und barfuß vor die Tür trat in einem roten Bademantel. “Ja?” fragte sie nur, aber mit einem Blick, der uns sagte, dass sie alles wusste. Von der Korruption und der Veruntreuung, aber auch, wer wir waren.
    “ Wir sind gekommen, um Ihren Mann zu töten, gnädige Frau”, sagte Oleg, und sie hob kurz den Kopf wie jemand, dem der Instinkt eine Gefahr anzeigt, aber der Blick war ruhig, als sie nach wenigen Sekunden antwortete: “Ich habe schon auf Sie gewartet. Ich hoffe, Sie sind nicht böse, aber Sie haben hier nichts mehr zu tun. Er ist ausgerutscht, und …”
    Wir drängten sie zur Seite und liefen in das Haus, mit entsicherten Pistolen, trieben Deckung suchend und uns gegenseitig sichernd unsere Mätzchen,

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