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Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Bach
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abgestreift werden, weshalb er dann merken wird, dass ein Teil der nackten Fußabdrücke, die er für die seinen gehalten hat, einer anderen Person gehören, die eine etwas kleinere Schuhgröße hat. Ich höre, obwohl er gut dreißig Meter von mir entfernt ist, seine halblauten Selbstgespräche. Russisch. Das zeigt Heimatverbundenheit, sehr sympathisch. Oleg läuft jetzt zum Strand vor, geht ihn ab, schaut zurück zur Düne, schreit mit einem Mal unartikuliert auf. Dann stellt er sich hin und ruft auf Englisch: „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
    Ich legte mich, auf Geräuscharmut achtend, hinter dem Steinhaufen hin, hinter den ich mich platziert habe, den Schaft der Axt zwischen den Beinen. Ich höre nun, nachdem ich angesprochen wurde, mein Herzklopfen laut und verspüre Mundtrockenheit. „Wo sind Sie?“ brüllt er, „reden Sie mit mir!“
    Ich merke, dass sich ein automatisches Lächeln auf mein Gesicht malt.
    „ Was wollen Sie denn von mir? Sind Sie von der Polizei?“
    Als keine Antwort erfolgt, fährt er fort: „Sagen Sie mir Ihren Preis, und wir reden darüber!“
    Der Morgen lässt wieder ein leichtes Lüftchen wehen. Er wird das auch bemerkt haben, denn er fährt fort: „Ich friere. Geben Sie mir wenigstens meine Kleider zurück und behalten Sie den Wagenschlüssel. Ich zahle jeden Preis. Zeigen Sie sich, und wir reden darüber.“
    Nachdem ihm niemand geantwortet hat, fährt er mit rauer Kehle fort: „Was willst Du? Du kriegst alles, was du willst!“
    Wo gerade noch Entschlossenheit war, ist jetzt Resignation zu spüren. Das ist überraschend, und doch einleuchtend. Einer, der die Nacht durchgeschwommen ist, und im Luftzug am Strand steht und friert, hat keine großen Energiereserven.
    Er hat, wenn er Englisch spricht, einen starken russischen Akzent. Das ist nicht gut. Jeder, der ihn hört, fragt sich automatisch: Was will der Russe da bei uns? Vielleicht hat er sich auf diese Weise verdächtig gemacht. Oder weil er gerne Wodka getrunken hat. Ich stelle mir Oleg mit einem Barett vor als "Franzose", der Wodka trinkt und russisch flucht. Dann Oleg als "Österreicher" mit Tirolerhut. Als Schotte mit Kilt. Ziemlich komische Sache. Sein Englisch ist nicht gut, eher so, als hätte er es bei einem Kurs gelernt und hätte im Alltag wenig Gelegenheit gehabt, es zu sprechen. Es erstaunt mich, dass er so gar nicht der sprachbegabte Typ ist. So einer muss doch im Vorfeld checken, dass er für die Rolle des Flüchtenden gar nicht geeignet ist.
    „ Du bist es, nicht wahr?“ schreit er jetzt etwas auf Russisch.
    Was? denke ich überrascht. Meint der mich? Weiß er, dass ich es bin? Wirre Gedanken gehen mir durch den Kopf. Habe ich mich früher, als wir zusammenarbeiteten, auch mal versteckt oder war hinterrücks und abgefeimt wie eben, oder vermutet er einfach, dass ich es sein könnte, und will mich aus der Reserve locken?
    „ Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast“, ruft er. „Und jetzt? Hallo! Ich rede mit dir! Du solltest soviel Mumm haben, mir zu antworten.“
    Ich schaue vorsichtig hinaus und merke, dass er direkt in meine Richtung starrt. Er mag nackt sein, aber er sieht wie eine Mördermaschine aus. Seine Augen sind wie Schlitze vor Wut. Wenn es etwas heller werden sollte, ist auch meine Deckung pfutsch, denn die Schatten weichen aus dem Unterholz, das nicht so dicht ist, wie man in der Dunkelheit annehmen durfte. Es wäre mir lieber, diese Entscheidung zwischen ihm und mir würde jetzt nicht allein durch die Lichtverhältnisse erzwungen.
    „ Willst du mein Geld? Du kannst es haben!“ schreit er. „Nimm es dir doch. Ich brauche es längst nicht mehr. Ich habe genug davon. Es ist sinnlos. Es verliert seine Wirkung. Aber wenn du es haben willst, ich habe kein Problem damit. Nimm es dir. Ich schenke es dir!“
    Was soll das blöde Geschrei? überlege ich. Was für ein Geld meint er? Das Geld, das eigentlich dem Herrn gehört. Wenn ich davon einen Dollar nehme, bin ich selbst geliefert.
    „ Du elender Feigling!“ schreit er. „Du bist es nicht wert, zu uns zu gehören. Du bist ein Versager! Ich verachte dich! Wegen deiner Feigheit verachte ich dich! Ich stehe hier und friere und ich kann nicht mehr. Bin ich eine Bedrohung für dich? Du elender Feigling. Du elendes Schwein! Ich bin müde, ich bin zu weit geschwommen, ich bin fertig. Ich bin doch kein Gegner mehr. Ich hole mir hier den Tod!“
    Ich überlege mir, mit wem er hier zu sprechen glaubt. Ob es eine Geliebte sein könnte, oder wer

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