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Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Bach
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sonst. Vielleicht ein Partner oder eine Partnerin, die er betrogen hat. Vielleicht bin ich es wirklich, den er meint. Die Enttäuschung über mich als den Mann, den er ausgebildet hat. Der ihm vielleicht schon damals in den Rücken gefallen ist. Der ihn aus seiner Position verdrängt hat im Ehrgeiz, in der Organisation aufzusteigen. Vielleicht hat er damals wegen mir das Handtuch geworfen und ist der Verräter geworden, als der er heute da steht. Jedenfalls spricht er mit mir wie mit jemandem, den man eine Weile gut gekannt hat. Es ist der Tonfall von damals. Ich erkenne ihn wieder. Aber vielleicht ist diese vertrauliche und zugleich wütende Art des Sprechens etwas, das er mit jedem pflegt, mit dem er umgeht. Waren wir Freunde? Freund sein heißt, auf eine bestimmte Art mit jemandem zu sprechen, der im Prinzip austauschbar ist. Ich lächle. Mit mir hat er keinen Pakt der Fairness geschlossen. Er mag daran glauben, aber ich zweifle daran. Der Gedanke weckt in mir den Entschluss, die Sache abzukürzen. Ich schlüpfe wieder in meine Schuhe, knüpfe sie zu. Wer Schuhe hat, ist dem Barfüßigen überlegen.
    Er hat sich längst heiser geschrien, und verlegt sich nun auf das Bitten. „Du hast recht“, sagt er, kaum verständlich, als würde die Sache in ein Selbstgespräch abgleiten. Was er wohl damit meint? Vieles war gönnerhaft, was er tat. Er war sich sehr sicher, von uns beiden der Bessere zu sein. Sicherlich wusste er mehr, konnte mehr. Er war unglaublich treffsicher mit Handfeuerwaffen, egal, welches Fabrikat. Er hatte diese Riesentatze, in der die Pistolen verschwanden, so dass man den Eindruck hatte, das Mündungsfeuer sei so etwas wie der Hauch seiner Faust.
    „ Ja, du hast recht ” , schreit er laut. „Ich verdiene es nicht anders. Du hast es in der Hand, mich hier draufgehen zu lassen. Ich habe hier schon einen Zug bekommen, es sticht beim Atmen, ich glaube, das wird eine Lungenentzündung. Ich weiß, ich habe den Tod verdient. Warum glaubst du sonst, bin ich überhaupt hinaus geschwommen? Ich möchte der Sache ein Ende machen. Ich möchte ja gar nicht mehr leben. Aber als ich draußen war, als ich keine Hoffnung mehr hatte, da bekam ich plötzlich wieder Hoffnung, und ich wollte wieder leben. Verstehst du? Und je weiter ich zum Strand kam, desto größer wurde die Hoffnung. Verstehst du das? Aber du weißt auch, ich kann das alles gutmachen. Ich kann es, ich habe die Macht dazu. Du siehst einen jämmerlichen, nackten Mann, aber ich kann es, und das ist doch letztlich, was du willst, oder nicht?“
    All das auf Russisch auf der verkehrten Seite des pazifischen Ozeans. Bizarr. Ich hätte nicht erwartet, bei meinem ersten Amerikaaufenthalt so viel Russisch zu hören. Kein Russisch, wie man es in Moskau spricht oder Leningrad, aber immerhin. Seine Stimme bricht ab, weil sie brüchig geworden ist. Tatsächlich scheint der Morgen kühler zu werden als die Nacht es war. Die Brise, die vom Meer her weht, ist eisig. Olegs Stimme zittert. Er klappert längst mit den Zähnen. Auch ich friere in meinen Kleidern, seitdem Wind aufgekommen ist.
    „ Jeka!“schreit er mit überkippender Stimme, „verdammte Scheiße, du Schwein, es reicht mir!“
    Ich zucke zusammen. Er meint gar nicht mich. Aber wenn er nicht mich meint, wer zum Teufel ist Jeka? Eine Russin, so viel ist klar.
    Oleg setzt sich mit einem Mal in Bewegung, läuft wieder den Weg zur Straße hoch, stellt sich hin. Wartet offensichtlich auf ein Fahrzeug. Ich stehe auf und schaue, ob irgendwo eines kommt. Der Morgen ist da, die Einsamkeit der Gegend offensichtlich. Wenn aber ein Wagen kommen sollte, würde man ihn in der Helligkeit der Stunde nur mehr hören und seinen Standort weniger genau erkennen können. Ich nehme das Beil in die Rechte, trete auf die Straße hoch und gehe den Asphalt bis zur Ausfahrt zurück. Sein bleicher Körper steht da vorne und hält Ausschau. Mir soll das recht sein. Jetzt hat er mich erblickt. Für einen Augenblick hoffnungsvoll. Man hat das Gefühl, dass er mich erkannt hat. Aber das scheint ihm nicht unangenehm zu sein. Er erinnert sich an mich als an den Jüngeren, den Schwächeren, den Formbaren. Dann wird er misstrauisch, weil er nicht weiß, ob es ein Knüppel ist, den ich da schwinge. Und wenn ja, warum. Ich spüre, es ist Zeit, das Ganze zu beenden. Ich komme näher und packte den Griff meiner Waffe fester, so wie man das macht, wenn man sich darauf vorbereitet, sie im Schwung zu nutzen. Ich glaube, er hat aus meinen

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