Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Bach
Vom Netzwerk:
schwächlicher Stimme. „Viel mehr. Ich weiß doch, was sie noch hat. Nichts. Sie hat doch alles verjubelt. Die ist doch fertig. Du weißt das selbst, wenn du es dir zugibst. Sie hat nichts zu geben. Es wundert mich nur, dass es ihr noch gelungen ist, dir überhaupt einen Vorschuss zu bezahlen. Sie ist pleite. Und sie kriegt von mir nichts, wenn ich tot bin, keinen Pfennig! Sie wird es nie finden, was sie sich erhofft. Nichts! Von der kriegst du nicht mehr als das, was sie dir gegeben hat. Verstehst du?“
    Mir scheint, er deliriert. Er spricht stockend, mit zitternder Stimme und klappernden Zähnen, wie jemand, der mit sich selbst konversiert. Ich kann ihn jetzt gut und deutlich sehen. Seine Augen. Schwarze Schlitze. Sein Mund, blau verfärbt. Ich glaube, die Sonne geht bald auf.
    „ Wie viel waren es, zehntausend, zwanzigtausend?“ fährt er fort, „ich gebe dir hunderttausend. Du weißt, wo du mich finden kannst! Ich halte mein Wort!“
    Es ist fast komisch, diese aufgeregte, bibbernde Stimme zu hören, die Stimme eines Mannes, der an einem Abend zehn Jahre gealtert ist. Er ist jetzt wirklich ein Greis. Eine Qualle. Ein Irrlicht. Hunderttausend! Der Gedanke ist so absurd, dass ein Mensch so viel wert sein soll. Ich bin versucht, ihm das zu sagen. Aber meine größte Waffe ist mein Schweigen. Und trotzdem spricht er nun unausgesetzt Russisch mit mir. Er muss noch etwas in dem Land verbrochen haben, in dem er die letzten Jahre gelebt hat, oder zumindest gegenüber einem Russen. Anscheinend hat er den Herrn vergessen, seinen früheren Geldgeber, der mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Aber er ist in der russischen Community geblieben, hat hier andere Menschen übers Ohr gehauen. Sonst würde er mit mir nicht in unserer Muttersprache sprechen.
    „ Warum machst du das?“ brüllt er. „Wer hat dich verletzt? Kann einer mit dir was gemacht haben, dass du einen wildfremden Menschen tötest, einen Wehrlosen?“
    Während er spricht, treiben ihn die Wellen wieder heran zum Strand. Er merkt es etwas zu spät, kämpft dagegen, und ist doch schon fast für mich erreichbar. Wenn man bis zu den Knien nass werden wollte, könnte man ihn hier locker erschlagen. Er scheint den Gedanken gelesen zu haben, denn er wirft sich wieder bewusst in die sichere Tiefe hinaus, vergrößert die Distanz wieder bis über zwanzig Meter. Als er sich wieder sicher weiß, fährt er fort: „Jetzt weiß ich, wer Sie geschickt hat! Ich hätte nicht gedacht, dass die so schnell sind. Was kann ich dafür, dass sie tot ist? Es war alles Trug und Täuschung, ich habe nichts bekommen.“
    Ich verstehe die Worte zuerst nicht. Dann fällt mir ein, dass er die Leiche einer jungen Frau meint, die gestern auf einem Parkplatz in L.A. lag. Ich war mir nicht sicher, ob er etwas mit dem Fall zu tun hatte, aber ich fand sie dort, wo sein Wagen geparkt hatte. Was könnten das für Auftraggeber sein, die einen wie mich so schnell mobilisieren? Wie schnell müssten sie gewesen sein, um mir den Auftrag zu geben? Was wäre das für eine Organisation, die die unsere klar in den Schatten stellen würde. Mein Auftrag ist drei Tage alt. Wie gemächlich scheint das im Vergleich! Alte Welt, ganz klar. Ich staune auch darüber, wie viel der Mann spricht, und vor allem: wie lang anhaltend, und wie viel Energie er darauf verbraucht, mit mir zu reden. Der alte Oleg war anders. Das Meer ist zu kühl, zu kühl, um als Entkräfteter ewig in ihm zu bleiben, das ist mir schon klar. Gut, wer fünf Stunden darin getrieben hat, ohne auszukühlen, hat wohl Reserven. Speckig ist er ja geworden. Früher hatte er aber mehr Feuer. War immer einer dieser Männer, die auf verborgene Energiereserven zugreifen können. Ein Bulle, wie er nur in unserer Heimat vorkommt. Und doch spürt er jetzt, dass er nicht mehr hinaus in die Weite darf, ohne abzusaufen zu müssen. Ich sehe es in seinen Augen. Er ist fertig, kann sich kaum dort halten, wo er jetzt paddelt. Sein Plan, mir davonzuschwimmen ist gescheitert. Deshalb verhandelt er. Und spielt damit auf Zeit. Doch wer sollte in den nächsten Stunden hier vorüberkommen? Er muss früher oder später zurück zum Strand, dorthin, wo Menschen mit ihrem Wagen hinabfahren können, auf der Suche nach ein paar Stunden im Sand und in der Sonne. Das ist seine einzige Chance, und das weiß er.
    Diesmal scheint sich mein Gedanke nicht zu übertragen.
    „ Ich mache es wieder gut!“ schreit er, wobei er offenbar den Faden verloren hat. Die Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher