Abdruecker (Splattergeschichten)
mir überhaupt überlegt habe, hänge ich schon den Blinker rein und fahre zurück, auf die Autobahn hoch, rase wieder auf dem Asphaltband vor, parke diesmal am Parkplatz der Gegenseite, laufe durch den zunehmend dichter werdenden Verkehr über die Autobahn und handle mir hier ein Hupen und Quietschen von Bremsen ein, steige über die Absperrung und sprinte auf meinen Jeep zu. Der steht unversehrt hinter dem LKW, dessen Fahrer wohl wirklich schläft und nicht gestört werden will. Ich werfe einen Rundumblick umher, versuche zu Atem zu kommen. Du hast Zeit, sage ich mir. Der Cayenne macht 260 km/h und das Wild 5 km/h, das ist mehr als fünfzig Mal langsamer. Wenn der einen Schritt macht, hast du schon fünfzig Schritte gemacht. Der kann dir nicht davonlaufen. Es sind zwei PKWs da, eine Frau steht in der Nähe des Häuschens und raucht eine Zigarette, jetzt biegt noch einer ein und parkt abseits, ein Freipinkler offensichtlich. Jetzt wird mir die Sache klarer. Meine erste Version war: Der Wagen bleibt da. Das Wild hat ihn vor dem Geschehen abgeschlossen und ging dann in den Wald und dann lief die Geschichte auf ihren Ausgang zu. Der muss noch geschrieben werden, aber wir sind nahe dran. Rätselhaftes Verhalten, dass der seinen Wagen hier stehen lässt, aber absolut glaubwürdig für einen Beamten, der nur solche Fälle hat, wo ein Unfallopfer sich vor dem Geschehen irrational verhält, plötzlich irgendwo auf einem Autobahnrastplatz den Wagen abstellt, durch das Dickicht bricht und dann tut, was immer so jemand macht, der dann zu Tode kommt. Zuerst ist er merkwürdig. Dann verstricken sich die Ereignisse. So ist das im Leben. Ich atme tief durch. Zweite Version: Der Cayenne steht jetzt drüben auf der anderen Seite. Wenn der Wagen dort steht, muss auch die Leiche dort gefunden werden. Ja. Ich atme noch ruhiger. Es wird mir besser. Die Vorstellung mit dem Stein durch das Fenster des Jeeps war zu viel. Aber jetzt wird es wieder richtig gut. Ich bin ruhig, sage ich, und in dem Moment, wo ich es sage, stimmt es auch. Ich lasse den Motor des Jeep aufjaulen und schieße aus dem Parkplatz hinaus auf die Autobahn.
Sobald ich da bin, drehe ich die Geschwindigkeit hoch, aber nicht zu hoch, und überlege. Bevor die Überlegungen überhaupt zu Ende kommen, ist mein Entschluss aber eigentlich schon längst gefasst. Ich habe mir vom vorherigen Durchsehen ein Bild der Straßenverhältnisse auf der Netzhaut bewahrt und fahre ruhig, aber zügig ab, bis zur nächsten Kreuzung weiter, dann geht es nach rechts. Das Wäldchen an der Autobahn ist etwa einen Kilometer breit. Die Überlandstraße, auf der ich mich befinde, geht durch zwei Örtchen, die das Wäldchen auf beiden Seiten begrenzen. Die Zielperson könnte mittlerweile – es sind fünfzehn Minuten vergangen – jedes der beiden erreicht haben und in einem Gasthof oder bei Privatpersonen Hilfe in Anspruch genommen haben. Das ist unwahrscheinlich, denn die Zielperson ist eine, die sich ihren Tod redlich verdient hat. So jemand sucht keine Hilfe, erwartet sie nicht und weiß auch, dass sie ihr nicht zu steht. Deshalb schlägt sie sich durch, davon kann kam ausgehen. Und dann kommt es noch darauf an, ob der Gasthof geöffnet hat und wie hilfsbereit die Privatpersonen sind. Auch die könnten Schweine sein, die die Situation des anderen, der plötzlich kein Auto mehr hat, ausnutzen für ihre Zwecke. Wenn man bedenkt, dass die Zielperson am Parkplatz offensichtlich abgeblitzt ist oder sogar von sich aus nicht bereit war, Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann man sich vorstellen, dass sie es jetzt dabei belässt, auf einen Bus zu warten. Der muss ja kommen. Sind Staatsbedienstete, die so was lenken. Polizisten quasi, die aber Verbrecher durch die Gegend kutschieren müssen. Zu den Tatorten, wo die dann tätig werden. Deshalb fährt ja so ein Postbus längst nicht mehr durch die Gegend. Oder wenn, dann einmal in der Woche. Oder die Zielperson hat sich ein Taxi gerufen. Jedenfalls würde sie sich dann, sofern sie im Freien steht, im Ortsgebiet aufhalten, wo maximal eine Geschwindigkeit von 100 möglich ist. Das sind alles beruhigende Gedanken. Ich merke, dass mein Atem und mein Herz nur mehr leicht beschleunigt sind und mir Kraft in den Gliedern zu wächst. Ich betätige den Knopf des Nummernschilddrehers und führe vorn und hinten ein neues Kennzeichen ein. Ich merke, dass ich ein kleines Lied pfeife, ohne klar erkennbare Melodie. Wieder habe ich das Gefühl, gut unterwegs zu sein. In der
Weitere Kostenlose Bücher