Abdruecker (Splattergeschichten)
und fahre dann weg, als die Firmengebäude zu brennen beginnen.
Die Frau ins Hotel mit zu nehmen, ist undenkbar. Also fahren wir in die Berge. Die gibt es in der Gegend nicht so. Man kann hier lange fahren, und es bleibt alles flach. Irgendwo in einem Wald aber findet man dann so eine Siedlung von kleinen Häuschen, in denen niemand lebt. Wochenendhäuschen, einige davon an einem Teich. Es ist schön hier. Autos parken hier keine, also ist auch keiner da. Ich nehme eines der Häuschen wo man den Wagen abstellen kann, ohne dass man ihn gleich sieht, mache eine Fensterscheibe kaputt, wo das Loch nicht so stört, trage die Frau vorn durch die Tür herein und lege sie im Schlafzimmer auf das Bett. Dann hocke ich mich auf einen Stuhl und schaue ihr beim Schlafen zu. Sie schläft unruhig, das ist ein gutes Zeichen. Warum sie noch nicht wach ist, bleibt mir schleierhaft, bis mir ihr Mundgeruch auffällt. Ja, ich kenne diesen chemischen Geruch, weiß aber nicht, wie die Droge heißt. Jedenfalls ist sie ein Loch, in das man fällt, und es dauert, bis man wieder aus ihm heraus gekrochen ist. Genauer gesagt, bis zum folgenden Nachmittag. Ich verbringe die Zeit zuerst mit einigen Stunden Dösen auf dem Sofa neben dem Herd, den ich geschürt habe, denn es ist hier eisig. Als es dämmert, koche ich mir einen Kaffee, denn so was gibt es hier, und esse dazu Knäckebrot. Draußen liegt der Teich mit einer Eisschichte, durch die ein Erwachsener mit seinem Gewicht einbrechen würde. Ein Kind aber, federleicht, ein träumendes Kind, könnte darüber hinweg gehen, bis ans andere Ufer, dort wo dunkelrot die Sonne im Schilf steht.
Später fahre ich in den nächsten Ort und kaufe etwas zum Essen ein. In der Apotheke kriege ich rezeptfreie Schmerzmittel und Verbandszeug. Zurück in der Hütte hat die Frau die Augen offen. Ich reinige ihre Haut auf der Stirn mit einem Lappen, trockne sie ab und verklebe dann die Wunden. Sie sagt kein Wort und schaut mich nur an. Ihrem Blick lese ich ab, dass das Gift noch in ihr kreist, wenn auch schwächer. Ich erwarte mir von ihr so etwas wie Angst oder Fremdheit, aber davon kann man nicht reden. Es ist eher das Gefühl, dass sie zu mir gehört. Ich spreche sie auf Deutsch an, aber sie schnalzt abwehrend mit der Zunge und spricht Russisch mit mir. „Ich bin Jeka“, sagt sie. Mit einem Akzent, den ich nicht gleich zuordnen kann. So spricht jemand, der sehr lange in Moskau gelebt hat. Vielleicht dort in die Schule gegangen ist. Danach schlafen wir beide noch ein paar Stunden. Diesmal nebeneinander im Bett, beide angezogen unter der dicken Decke. Ich habe den Ofen noch einmal angeschürt. Die Hütte ist zuerst fast unerträglich warm. Später, als die Sonne durch das Fenster kommt, ist es noch so warm, dass man glauben könnte, es sei die Sonne, die ihn wärmt. Es ist wirklich sehr angenehm.
Am Nachmittag ist das Gift ausgeschwemmt. Man merkt es daran, dass sie vor mir aufgestanden ist. Sie macht sich in der Küche nützlich, indem sie uns Brote schmiert, und noch mal frischen Kaffee kocht. Wir trinken Kaffee, kauen und schauen einander an. Ihr Gesicht ist bläulich verschwollen. Die Nase ist gerade. Gebrochen ist sie nicht.
„ Du musst wieder zurück nach Berlin?“ frage ich sie schließlich, um was zu reden.
Sie schüttelt den Kopf. „Ich fahre nach Hause.“
„ Wo ist das?“
„ Weißt du eigentlich, wer das war?“ fragt sie, anstatt mir zu antworten. Ihr Blick ist gerade und sehr intensiv. Ich schließe daraus, dass sie von der Zielperson redet. Denn es muss einen Grund dafür geben, dass sie mit seinem Cayenne unterwegs war. Dass sie offenbar innerhalb von Minuten nachdem ich die Leiche deponiert hatte und vom Parkplatz weggefahren war, in diesen Cayenne gestiegen war und mich mit ihm, ohne dass ich es bemerkte, in die Diskothek verfolgt hat.
„ Dann war es kein Zufall, dass du dort getanzt hast“, meine ich.
„ Nein.“
„ Aber das Spiel war wenigstens echt“, behaupte ich.
„ Ja. Aber was ich überhaupt nicht verstanden habe: Hast du kein GPS?“
„ Wie?“
„ Das Spiel spielt man jetzt mit GPS“, sagt sie. „Ich glaube, du bist von der älteren Generation.“
Ich überlege mir, was sie meinen könnte. Eine Variante: Jeder kriegt die Informationen vom GPS des anderen Wagens auf sein Display und weiß damit immer, wo der sich befindet. Oder: Es gibt Markierungen, die jeder mithilfe seines GPS anpeilen muss. Dann wären die Zusammenstöße quasi vorprogrammiert und die
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