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Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Bach
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startet sie einen Angriff. Der Grill ihres Cayenne nähert sich in vollem Tempo, während ich beschleunige, die Handbremse hochreiße, eine Kehrtwendung einlege und ihr mit der Schnauze des Jeeps entgegen blecke, bevor sie an mir vorbei schießt. Wieder drehe ich den Wagen und setze ihr nach. Sie ist vielleicht hundert Meter von mir entfernt, als sie in ein fahl beleuchtetes Industriegebiet einbiegt. Ich bin dort nie gewesen, aber die Neonleuchten, die dort aus Sicherheitsgründen überall stehen, tauchen die Gegend in ein klares Licht, und man ist hier so weit von den Straßen weg, dass man das Gefühl hat, man könne eine Stecknadel fallen hören. Vom Wagen der Frau ist keine Spur.
     
    In dem Moment spüre ich, worum es hier geht. Ich habe dieses Spiel gespielt, zuhause. Man klaut irgendwo einen Wagen. Beispielsweise geht man in eine Disco und tanzt dort mit jemandem und angelt ihm einen Autoschlüssel aus der Tasche. Dann verschwindet man mit dem Wagen und macht damit was Kreatives. Das geht am Besten in einer Großstadt, wo einen keiner kennt. Den Wagen nutzt man beispielsweise, um einen anderen abzuschießen. Am Besten ist das einer, der das Spiel selbst spielt. Es gibt nichts Besseres. Man jagt ihn so lange, bis man ihn quer kriegt, und dann geht es volle Kanone dagegen. Entweder rechts oder links. Rechts nennt man „Fake“, und links „Real“. Wer links erwischt wird, ist weg. Wer das Spiel kennt und in ein Industriegebiet fährt, kann seine Regeln festlegen. Ein Anfänger muss die Gebäude im Uhrzeigersinn umkreisen, denn alle Attacken, die es dort gibt, kommen von rechts und können einem Kopfweh bereiten. Aber Ernst ist die Sache nicht. Ein Profi fährt automatisch gegen den Uhrzeiger in das Gebiet ein. Er fährt auf volles Risiko. Das Schöne am Spiel ist, dass der Angreifer dann, wenn er bei seiner Attacke die Straße an der Peripherie erreicht, den anderen nicht verfehlen sollte. Denn es gibt dort oft nichts als eine Mauer. Bei einem größeren Industriegebiet machen es die Anfänger deshalb eher so, dass sie einen inneren Kreis von Straßen aufsuchen, wo eine verfehlte Attacke keine Probleme macht. Man fährt einfach nach der Kreuzung weiter und dreht dann wieder. Das Spiel kann nur gespielt werden, wenn beide volles Tempo drauf haben. Nur so kann es tödlich sein, und das ist der Reiz der Sache. Der Angreifer braucht ein gutes Gehör. Und er muss wissen, wie er zum richtigen Zeitpunkt an der Einmündung ist. Der Gejagte braucht etwas, das man nicht genauer definieren kann. Es wird etwas mit den Sinnen zu tun haben, aber es ist im Prinzip so etwas wie Eingebung, oder eben Glück oder Zufall. Man spürt den Energiestrahl eines Wagens, der mit der Motorhaube voran auf einen zu katapultiert wird und bremst dann entweder oder beschleunigt, je nachdem. Wer zu stark bremst, macht sich lächerlich. Es ist natürlich nicht allzu schwer, vor jeder Kreuzung langsamer zu werden, vielleicht sogar abrupt zu bremsen in der Hoffnung, dass der andere vor einem vorbei schießt. Aber auch einen Bremser kann man berechnen. Indem man selbst schlenkert oder bremst oder was immer. Denn auftauchen muss der andere ja. Denn nur wer volles Tempo fährt, spielt überhaupt mit. Es geht also darum, die Karosserien miteinander verschmelzen zu lassen. Der eine will es, er sehnt sich nach dem Aufprall, das ist überhaupt der Sinn der Sache. Und der andere arbeitet daran, es zu vermeiden, weil er die Zielscheibe ist. Das weiche Ziel, das der andere sucht. Das, was den anderen überhaupt gepackt hat, ist ja die Vorstellung dieses Ziels, und entladen kann sich die Sache nur, wenn der andere getroffen ist. Also nicht das Auto, sondern schon ihren Lenker. All das geht mir durch den Kopf, als ich rechts in das Industriegebiet einfahre und Tempo mache. Ich bin auf 100, 120, was gar nicht leicht ist, denn hier ist der Kreis, der um die ganzen Gebäude herum führt, unvollständig, macht einen Haken der Mitte zu, wo es ganz eng wird und man fast zu stehen kommt, um dann wieder nach rechts auszuschweifen. Da, an der Engstelle, passiert es dann. Die Frau ist da. Sie hat es zu scharf berechnet, ist zu gierig danach. Ein kleiner Tipps auf die Bremse und sie schießt vor mir durch, eine Linie nur im Halbdunkel, vorn das Weißblau der Scheinwerfer, und das Röhren des Motors, dann verreißt sie das Steuer, bricht über den Bordstein hoch auf ein Rasenstück, dreht um den Zaun einen Halbkreis und ist weg auf der anderen Seite, wo offenbar das

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