Abdruecker (Splattergeschichten)
Ende einer Sackgasse liegt. Dort kriegt sich der Wagen wieder zu fassen, die Reifen quietschen, dann stabilisiert sich die Fahrt. Ich selber bin mittlerweile schon einige Gebäude weiter, habe das Geschehen nur augenblickslang aus den Augenwinkeln verfolgen können. Aber ich merke, dass mich das antörnt, diese Getriebenheit der Dame. Wie schnell sie war, und sofort, bei der ersten Gelegenheit, hat sie es versucht. Und es war knapp. Wenn ich nicht wegen dieser merkwürdigen Kurve etwas zu stark gebremst hätte, etwas, was man nicht tun würde, wenn einem die Gegend vertraut wäre, hätte sie mich abgeschossen. Ich biege vor dem Erreichen der Peripherie, die hier ja nur ein Halbrund ist, nach links, weil ich glaube, da hinten was zu hören. Dann ist sie plötzlich da, schwenkende Scheinwerfer, die mich grell erfassen, ebenso grell wie ihr meine Scheinwerfer in die Augen stechen, während wir im hohen Tempo in der Seitenstraße aufeinander zu rasen. Ich kriege ein ganz warmes Gefühl, so ähnlich wie das ist, wenn einem Blut über den Kopf läuft und man taub wird in den Ohren. Eigentlich ist dann alles klar, obwohl wie unter einer warmen, beschützenden Glocke sitzt. Und das Herz pocht dazu. Die Vorstellung, dass Scheinwerfer auf mich zu rasen und ich auf Scheinwerfer zu rase, macht so was mit mir. Es gibt welche, die so was nicht mögen, weil einige Suizidale das Spiel spielen, und das ist insofern dämlich, als ein Suizidaler den Zusammenstoß um jeden Preis sucht, wodurch es dann gar kein Spiel mehr ist. Denn der Sinn des Ganzen ist hier die Härte, und dort die Weichheit. Hier die Unerbittlichkeit, dort ein Gewebe, das Zerreißen muss. Der Cayenne der Frau macht einen Schlenker, aber das hat mit den Bodenverhältnissen zu tun, ein eisiger Film liegt auf der Straße. Ich sehe ihr Gesicht für einen Augenblick ganz klar, glaube fast, an dieser glänzenden Fläche einzelne Schweißperlen zu sehen. Sie ist schön, ich weiß das noch von ihrem Blick von der Tanzfläche. Was sie nicht weiß: Ich bin im Dienstwagen da. Ich kann das Spiel nicht so spielen, wie es gemeint ist, nämlich als Folge mehrerer Crashs und Karambolagen, von denen das Industriegebiet am Morgen wie eine Hochzeitstorte aussieht, deren Perfektion unter dem Ansturm hungriger Gäste gelitten hat. Ich muss heute clean bleiben, denn ich habe mit dem Wagen noch einiges vor. Der Gedanke ist langweilig, und er steht dem Hämmern meines Herzens entgegen, das eingesetzt hat, seitdem ich wieder ihren Blick sah. Diesmal, für Sekunden-bruchteile der Begegnung in einer Gasse, die sie nicht auf Rechnung hatte, war das so etwas wie Angst, wovon es bekanntlich zwei Sorten gibt: Die fiese, faulige Angst, die keiner braucht. Und die erregende, Erfüllung suchende Angst, die die Frau ausstrahlt. Es ist eine Form der Angst, die die Gewalt sucht. Selbsterhaltungstrieb einerseits und Zerstörungswillen andererseits.
Unsere Wägen sind längst voneinander weg. Sie ist rechts abgebogen, und ich links, wodurch wir, sofern jeder noch einmal in die gleiche Richtung umschwenkt, einander sofort wieder begegnen müssten. Eine, zwei Querstraßen fliegen vorbei, bevor ich das Steuer herum reiße. Ich kann es hören und an einem Schein über dem Dach eines niedrigen Gebäudes sehen, dass sie eine Straße zu früh abgebogen ist. Ich erreiche eine kleine Kreuzung, quere sie und fahre vor, bis ich wieder auf der Peripherie bin. Nun gut, also jetzt alle Sinne einschalten. Ich fahre, so schnell es geht und so kreisförmig, wie es geht, um das Industriegebiet herum. Einmal, zweimal, dreimal. An der langsamen Stelle, wo die Linkskurve liegt, geht es mittlerweile schon in hohem Tempo durch. Meine Sinne sagen mir, dass sie es hier wieder versuchen wird, aber es ist etwas Trügerisches daran, ein Trugbild, das ich aus ähnlichen Situationen kenne und längst ignorieren gelernt habe. Wenn man mit allen Sinnen fahren will, wird man blind und sieht nur das, was gewiss nicht eintreffen wird. Man muss auf das lauschen, was verborgen ist, das Unbekannte, die nahe Zukunft. Im Rückspiegel sehe ich die Lichter ihres Wagens auftauchen, und schon wird mir klar, was sie will. Mein inneres Auge zeigt mir eine Mülltonne in der Mitte der Straße, gerade dort, wo man in der Linkskurve verlangsamen muss. Ich weiß nicht, woher das Bild kommt. Aber es könnte auch ein Baum sein oder ein Mensch, irgendetwas hoch Aufgerichtetes steht da irgendwo. Man kann es mit der Lautlosigkeit jenseits des Brummens meines
Weitere Kostenlose Bücher