Abdruecker (Splattergeschichten)
Wodka“, sage ich, als der Ober gekommen ist. Eine Weile sitzen wir da, hören die Musik, die leise aus den Lautsprechern dringt, und nippen an unseren Gläsern.
„ Irgendwie gemütlich hier, nicht wahr?“ fragt Jeka.
Ich blicke ihr in die Augen, die ungewöhnlich große, schwarze Pupillen haben. „Hört das jemals auf?“ fragt sie. „Bei uns gibt es den Spruch, dass ein Soldat nur im Grab Ruhe bekommt. Aber du bist doch ein gutes Beispiel dafür, wie man sich von diesen Zwängen befreien kann. Du hast es geschafft. Und weil du es geschafft hast, bist du der Held von allen hier.“
„ Bin ich das?“
„ Es reden alle von dir. Und jeder sagt, dass er auch schon daran gedacht hat, die Selbständigkeit zu versuchen. Aber es gibt immer einen Zwang, der dagegen spricht. Bei mir ist es anders, ich bin Geheimnisträger.“
„ Ach ja?“
„ Ja.“
„ Das ist schön. Sicher hast du alle möglichen Medaillen im Schrank.“
„ Ja, einige sind dabei.“
„ Welche?“
„ Das ist auch ein Geheimnis.“
„ Was für einen Sinn machen Medaillen, wenn man sie nicht herzeigen kann?“
Sie sagt darauf nichts, und schlenkert nur ihr Glas. Sie denkt an etwas ganz anderes.
„ Ich fühle mich hier wohl“, meine ich, „es ist für alles gesorgt. Ein Lob den Veranstaltern.“
„ Und ich fühle mich sauwohl“, gibt sie zurück, „sagt man bei euch so: sauwohl, oder nicht? Der Regen klopft an das Fenster.“
„ Hier regnet es nie“, fahre ich fort, mit dem Blick auf den sonnendurchglühten Abend draußen. Sobald in dieser Gegend die Sonne untergegangen ist, kann es sehr kühl werden. „It never rains in Southern Dubai.“
„ Ich weiß, was du meinst“, sagt sie. „Es ist das Rattern in der Klimaanlage.“
Ich schaue dabei zu, wie sie die Schuhe abstreift und die Füße auf die Sitzfläche des Sessels hoch zieht.
„ Wenn du kalte Füße kriegst, kann ich Ihnen keine Wollsocken anbieten.“
„ Kennst du Menschen, die kalte Füße kriegen, Zek?“
„ O ja.“
„ Menschen, die du besinnungslos - wie sagt man?“
„ Die ich mit Fragen gequält habe?"
„ Geschlagen hast?“
„ Nein. Ich bin kein Schläger. Gefährlich bin ich nur, wenn ich schweige. Ich kann gut schweigen, wie alle Männer. Meine Folter ist lautlos, Jeka.“
„ Das ist gut. Ich mag Männer. Und ich mag die Stille. Und ich kriege keine kalten Füße.“
„ Nie?“
„ Nein. Nie.“
„ Ganz untypisch für eine Frau.“
„ Muss mit dem Joggen zusammenhängen.“
Wir bestellen jeder noch einen Wodka.
„ Was bist du für ein Mensch, Zek?“
„ Manchmal fühle ich mich wie der Panther von Rilke. Kennst du den?“
Sie schüttelt den Kopf.
„ Es geht um ein Raubtier, das man in einen Käfig gesperrt hat. In dem Gedicht heißt es:
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte
der sich im allerkleinsten Kreise dreht
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.“
„ Ich mag Männer, die Gedichte zitieren.“
Das ist nicht die Antwort, die ich mir erhofft habe. Ich habe eher daran gedacht, dass sie darauf reagieren wird und sagen: Genauso fühle ich mich.
„ Es kam mir vorhin in den Kopf, als ich dich auf die Toilette gehen sah“, setze ich nach.
„ Du hast mir auf den Hintern geschaut?“
„ Man kann es so formulieren, ja.“
„ Ich mag Männer, die Frauen auf den Hintern schauen.“
„ Dann magst du alle Männer.
„ Nur die Männer mit gutem Geschmack. Und wer mir auf den Hintern schaut, hat doch einen guten Geschmack, oder?“
Wir schauen einander an.
„ Ich habe dich noch nicht lächeln sehen“, sagt Jeka dann. „Kannst du lächeln?“
„ Einfach die Zähne unbedeckt lassen, oder?“
„ Nein, es ist eher ein Gefühl. Die Japaner lächeln nur mit den Augen. Das hat mit dem Mund gar nichts zu tun, meinen die. Aber du kannst mit den Augen nicht lächeln. Die sind viel zu hell.“
„ Wenn du es genauer wissen willst, Jeka: Ich lächle dauernd. Ich lache überaus gern. Ich bin ein fröhlicher Mensch.“
„ Und das sagst du mit einer Leichenbittermiene.“
„ Und du? Lachst du manchmal?“
„ Ich lache, wenn ich zu Hause bin“, sagt Jeka. „Dann gehe ich in den Keller und lache. Ganz laut. Aber da bin ich nicht oft.“
Nun, da die Sonne untergegangen ist – und das so schnell, wie das hier in der Gegend passiert, innerhalb weniger Minuten – starren wir beide aus dem Fenster, als hätten wir einander nun nichts mehr zu sagen.
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