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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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nichts, es sollte lediglich amerikanisch wirken. Er war dicklich und kurzhalsig und hypochondrisch, hatte einen glattzüngigen Witz und wuselte beim Reden mit den Fingerchen immer vor seinem Gesicht herum, als würde er etwas Winziges zusammensetzen. Er hatte Aufnahmen mit Fatty George und eine Sprechplatte mit Helmut Qualtinger produziert und One Night in Vienna , die erste Schallplatte meines Vaters. Arnold sagte bei jeder Gelegenheit, Jazz sei sein Leben, und als ihm meine Mutter einmal bolzgerade in die Augen starrte und fragte, was er genau damit meine, wurde er rot wie ein Ziegeldach und brachte kein Wort heraus. Wahrscheinlich aber, weil meine Mutter es war, die ihn danach gefragt hatte. Sie mochte ihn nicht. Aber das sagt wenig. Meine Mutter mochte fast niemanden, der mit meinem Vater umging (außer dem Schlagzeuger Philipp Mayer, den mochte sie sogar besonders gern, aber den mochte jeder). Wenn sich jemand für ihren Mann interessierte, argwöhnte sie Motive, die ihm schaden könnten. Ihre Abneigung Arnold gegenüber begründete sie damit, daß er die Platte versaut habe, weil er zu feige gewesen sei, Georg Lukassers eigene Musik aufzunehmen, und ihn statt dessen zur simplen Wiedergabe von ausgeleierten Standards gezwungen habe. Komisch, so eine Argumentation aus dem Mund meiner Mutter zu hören. Erstens hatte sie keine Ahnung, zweitens hatte Arnold meinen Vater sicher nicht gezwungen, sondern höchstens gebeten – allerdings in dieser zähen, weinerlichen Art, gegen die sich mein Vater nicht durchsetzen konnte. Feige war Arnold, da hatte meine Mutter recht. Er war mutig feige. Mutig, wenn er verkündete: Nächstes Jahr werde ich …; feige, wenn es hieß: morgen. Es wurmte ihn, daß er damals meinem Vater nicht die Klasse zugetraut hatte, die in London und New York sofort erkannt worden war. Und es wurmte ihn, daß nicht er es gewesen war, der die fulminanten Lassithi Dreams produziert und herausgegeben hatte. (Ebenso ärgerte er sich sein Leben lang, daß er zwar mit Fatty George und Helmut Qualtinger je eine Schallplatte aufgenommen hatte, aber nicht jene legendäre, auf der die beiden gemeinsam zu hören sind – Helmut Qualtinger spricht Texte von François Villon, die H.C. Artmann ins Wienerische übersetzt hat, Fatty George improvisiert dazu auf seiner Klarinette. Arnold hatte das Produkt mit der Begründung abgelehnt, Qualtinger sei wie ein Wiener Schnitzel, Fatty George wie eine Sachertorte, H.C. Artmann wie ein vorzügliches Erdäpfelgulasch, Villon wie eine Bouillabaisse, zusammengemischt komme einem das Kotzen.) Eine zweite Chance wollte er sich nicht entgehen lassen, also sagte er von nun an – genauso wie ich – zu jeder Idee von Georg Lukasser sicherheitshalber ja. Als Lokalität hatte Arnold ein ehemaliges Bierlager in der Taborstraße im zweiten Bezirk in Aussicht, das aus drei miteinander verbundenen Kellergewölben bestand. Arnold besaß etwas Geld, mein Vater besaß nichts. Mein Vater sprach mit Carl. Der ließ sich die Idee Hot Club Vienna in aller detailbesessenen Ausführlichkeit vortragen, inspizierte die Lokalität und erklärte sich zu unser aller, auch zu meines Vaters Erstaunen einverstanden, für eine beträchtliche Summe bei der Bank zu bürgen.
    Carl: »Ich hatte ihn wegen seines Amerikajahres aus den Augen und auch, ich weiß das, aus dem Sinn verloren und war deshalb ungeübt im Umgang mit ihm. Sonst hätte ich wohl gemerkt, daß sein Entschluß, sich an mich zu wenden, für ihn der letzte Ausweg war, aus dieser Sache herauszukommen.«
    »Du meinst, er hat gehofft, du sagst nein?«
    »Ja, das meine ich. Er war endlich auch in seinem Kopf in Wien angekommen, und die amerikanischen Träume hatten sich verduftet. Aber er hatte bereits den Mund zu weit aufgemacht. Vor allem dir gegenüber. Das war für ihn die schlimmste Vorstellung: daß er seinen Sohn enttäuschen könnte.«
    »Meine Mutter hat es ähnlich gesehen.«
    »Hat sie das zu dir gesagt?«
    »Ja. Nach seinem Tod. Auf unserem langen Spaziergang. Er habe sich am Ende seines Lebens so viel vorgeworfen. Weil er geglaubt habe, ich sei immer nur enttäuscht von ihm gewesen.«
    »Das war nicht fair von Agnes, daß sie das zu dir gesagt hat. Nach seinem Tod.«
    »Fair sicher nicht, aber vielleicht die Wahrheit.«
    Die Wahrheit lautete: Mein Vater hatte das Interesse am Jazz verloren. Wahrscheinlich war er sich dessen gar nicht bewußt. So viele Einflüsse hatte er in Amerika in sich aufgenommen, die schwirrten alle durch

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