Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
nach Süden fuhren, verfestigte und verfinsterte sich die Stimmung zwischen uns immer mehr – in Wahrheit war es meine Stimmung, aber sie gewann die Oberhand über die Atmosphäre im Auto –, so daß ich endlich – kurz vor Charleston, W.V. – genervt vorschlug, die Reise abzubrechen und nach New York City zurückzufahren. Der Vorschlag war nicht ernst gemeint, ich wollte lediglich die Diskussion neu eröffnen. So waren die Konflikte zwischen Dagmar und mir abgelaufen: ein erster heftiger Streit, dem folgte eine Zeitlang konsequentes beleidigtes Schweigen auf beiden Seiten, dann nach ein paar Tagen Wiederaufnahme des Streits in abgeschwächter Form, gefolgt von einer kürzeren Schweigestrecke und schließlich eine Schlußdiskussion, die schon kaum mehr ein Streit genannt werden konnte, und am Ende die Versöhnung. Maybelle hingegen ging weder auf meine Art, mit Worten zu kämpfen, noch auf mein Schweigen ein. Im Streit wehrte sie sich nicht und schwieg, und wenn ich schwieg, redete sie. Sie redete, als ob eigentlich gar kein Schweigen zwischen uns wäre. Sie redete vielleicht nicht soviel wie sonst, erzählte nicht drauflos, wie sie es bisweilen tat, so daß die Worte aus ihrem Mund kollerten, als würde sie den Kurzzeitspeicher in ihrem Kopf ausleeren; aber sie redete, und das ohne jeden hintergründigen Ton von Sarkasmus oder Spott – bei Newark hatte sie auf die riesigen Strommasten gezeigt und gesagt, jedesmal sei sie erstaunt, wie groß die orangenen Ballons seien, die wie Riesenperlen einer Riesenkette auf die Stromkabel gefädelt waren, nämlich um die Flugzeuge zu warnen; als wir Philadelphia passierten, hatte sie bemerkt, daß sie sich vorgenommen habe, irgendwann hierher zurückzukehren, wo ihre Tochter Becky zur Welt gekommen sei; und als wir abends auf dem Highway 79 über den Monongahela River fuhren, begann sie die Stones-Nummer West Virginia zu singen – alles, als würde ich, neben ihr am Steuer, gar nicht beleidigt sein, als würde ich gar nicht schon seit Stunden verbissen den Mund halten. Und als ich, nachdem wir in einem Drive-in Hamburgers und Coca Cola zu uns genommen hatten, vorschlug, zurückzufahren, stiegen ihr nicht, wie ich erwartet und sowohl gehofft als auch gefürchtet hatte, die Tränen auf, was mir – so wäre es bei Dagmar gewesen – das Einlenken zur Versöhnung entschieden erleichtert hätte, und sie sagte auch nicht, wie ich ebenfalls erwartet hatte, »You can’t do that to me!«, sondern einfach nur: »Wenn du meinst, Luke.« Mir blieb – wie ich meinte – nichts anderes übrig, als mit quietschenden Reifen auf der Straße zu wenden und zurückzufahren. Am Morgen kamen wir in New York an, ich war die Nacht über gefahren, Maybelle hatte ihren Sitz zurückgedreht, die Wolldecke vom Rücksitz über sich gelegt und geschlafen.
    Ab Mai begannen die Abdrucke in den Zeitungen; da hatte ich zu den Geschichten über Grigol Beritaschwili und Woody Guthrie und über Robert Johnson und Niccoló Paganini bereits auch die anderen oben angeführten sieben double-tales fertiggestellt. Im Juli kamen noch fünf weitere Zeitungen dazu – aus Oklahoma, Louisiana, Alabama, Texas und Wyoming. Bei zweien verhandelte Fabian ein Pauschalhonorar, die zahlten auf einen Hau je 1000 Dollar, die, ohne daß das ACE Prozente für die Vermittlung abzog, mir gutgeschrieben wurden. Ich fuhr nach Manhattan hinüber und kaufte mir bei Matt Union in der Bleeker Street eine Gitarre, eine Martin 0008 aus solidem Rosewood, die den gesamten Vorschuß und noch etwas dazu verschlang (ein wirklich edles Stück, das ich selbstverständlich noch immer besitze). Ich war sehr glücklich, nach so langer Zeit wieder Gitarre zu spielen. Jede unserer Arbeitssitzungen begannen wir von nun an damit, daß ich einen Blues spielte oder unsere Hymne von Hank Williams oder eine Nummer von Emmylou Harris oder Neil Young oder einen alten Schlager von Lefty Frizzell – und Maybelle dazu sang. Und wenn wir mit der Arbeit fertig waren, das gleiche. Manchmal kam Mr. Albert nach oben und steuerte seinen Baß bei.
    An einem sehr warmen Frühsommerabend saßen wir zu dritt vor Mr. Alberts Haus und sangen und spielten, da bummelten ein paar Burschen und Mädchen von der Hühnerbraterei herunter und hockten sich zu uns und summten einen umwerfenden Chor dazu, als Maybelle und Mr. Albert im Duett Back Door Man von Willie Dixon und Howlin’ Wolf sangen.
     
    I am a back door man
    I am a back door man
    Well, the men don’t know, but the

Weitere Kostenlose Bücher