Abendruh: Thriller (German Edition)
aufmerksamen Hüter dieser Enklave, den Mephisto-Club. Konnte man sich einen sichereren Ort für ein bedrohtes Kind vorstellen als diesen – bewacht von Menschen, die genau wussten, wie gefährlich die Welt sein konnte?
»Ich bin zufrieden mit dem, was ich gesehen habe«, sagte sie. »Wir sehen uns dann in Boston.«
Bevor sie das Schloss verließ, schaute Jane noch ein letztes Mal bei Teddy vorbei. Er hatte gerade Unterricht, und sie störte ihn nicht, sondern sah nur von der Tür aus zu, wie Lily Saul mit schwungvollen Handbewegungen die Vorzüge des Spanischen Schwerts demonstrierte, das die römischen Legionare benutzt hatten. Teddy schien vollkommen gefesselt, mit vorgebeugtem Oberkörper saß er da, als wollte er jeden Moment von seinem Stuhl aufspringen und sich in die Schlacht stürzen. Lily bemerkte Jane und nickte ihr zu, mit einem Blick, der sagte: Machen Sie sich keine Sorgen um ihn. Es ist alles unter Kontrolle.
Mehr musste Jane nicht sehen.
Draußen eilte sie durch den Regen zu ihrem Wagen, warf ihre Tasche auf den Rücksitz und setzte sich hinters Steuer. Sie wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und angelte den Zettel mit dem vierstelligen Zugangscode aus der Tasche, den sie brauchte, um das Tor zu öffnen.
Alles ist unter Kontrolle.
Doch als sie durch den Torbogen aus dem Hof hinausfuhr, zog etwas weit hinten im Wald ihren Blick auf sich. Da stand ein Mann zwischen den Bäumen. Er war so weit weg, dass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte, nur seine Umrisse. Seine Kleider waren vom gleichen scheckigen Braun wie die Baumstämme ringsum.
Die Straße führte sie auf ihn zu, und als sie näher kam, hielt sie den Blick auf den Mann gerichtet. Sie fragte sich, warum er so reglos dastand. Dann verlor sie ihn in einer Kurve kurz aus den Augen, und als die Baumgruppe wieder in ihr Blickfeld kam, sah sie niemanden dort stehen. Es war nur der Stumpf einer abgestorbenen Eiche, die Borke mit Flechten bedeckt und mit Spechtlöchern gespickt.
Sie hielt am Straßenrand und ließ das Fenster herunter. Sie sah die triefnassen Blätter, die Zweige, die sich im Wind wiegten. Aber da war keine verdächtige Gestalt, nur dieser leblose Baumstumpf, der ihr die Bedrohung nur vorgegaukelt hatte.
Alles ist unter Kontrolle.
Und doch legte sich ihre Unruhe nicht, als sie das Tor passierte und in Richtung Süden fuhr, zunächst durch Wälder, dann durch Ackerland. Vielleicht war es der unablässige Regen, die dunklen Wolken, die tief über dem Horizont hingen. Vielleicht war es die einsame Straße, die verlassenen Häuser mit den windschiefen Veranden und den zugenagelten Fenstern. Es kam ihr vor, als sei dies das Ende der Welt und sie der letzte überlebende Mensch.
Das Klingeln ihres Handys zerstörte diese Illusion. Ich bin zurück in der Zivilisation, dachte sie, während sie in ihrer Handtasche nach dem Telefon kramte. Der Empfang war schlecht, ein normales Gespräch fast unmöglich, aber sie konnte bruchstückhaft Frosts Stimme aufschnappen.
»Deine letzte Mail … mit Hillsborough PD gesprochen …«
»Hillsborough? Geht es um Will Yablonskis Tante und Onkel?«
»… sagt, es ist merkwürdig … mit uns darüber sprechen …«
»Frost? Frost?«
Plötzlich tönte seine Stimme laut und klar aus dem Telefon. Endlich ein vernünftiger Empfang – ein wahres Wunder. »Er hat keine Ahnung, was das alles bedeutet.«
»Du hast mit einem Kollegen von Hillsborough gesprochen?«
»Genau. Ein gewisser Detective David G. Wyman. Er sagt, der Fall ist ihm von Anfang an merkwürdig vorgekommen. Ich habe ihm von Claire Ward erzählt, und da hat er ganz große Ohren gekriegt. Er wusste nicht, dass es noch andere Kinder gibt. Du musst mit ihm reden.«
»Kannst du dich in New Hampshire mit mir treffen?«, fragte Jane.
Eine Pause, dann senkte Frost die Stimme. »Geht nicht. Crowe will, dass wir uns auf die Suche nach Andres Zapata konzentrieren. Ich bin heute Abend zur Observierung eingeteilt. Die Wohnung der Haushälterin.«
»Crowe setzt immer noch auf Raubmord als Motiv?«
»Auf dem Papier sieht Zapata aus wie der ideale Kandidat. Vorstrafen wegen Einbruchdiebstahl in Kolumbien. Er hatte Zugang zum Haus, er hatte die Gelegenheit. Und seine Fingerabdrücke sind an der Küchentür.«
»Aber das lässt mir einfach keine Ruhe, Frost. Das mit diesen drei Kindern.«
»Hör mal, du wirst doch erst morgen hier zurückerwartet. Da hast du Zeit für einen kleinen Abstecher.«
Sie hatte sich darauf eingestellt, den Abend
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