Abendruh: Thriller (German Edition)
auf und tauchte ins grelle Sonnenlicht ein. Sie sah Zapata über die oberste Sprosse klettern und mit einem Satz auf dem Dach landen.
»Keine Bewegung!«, schrie sie. »Polizei!«
Er erstarrte und blickte in ihre Richtung. Seine Hände waren leer. Ausgebleichte Bluejeans, zerknittertes Hemd mit einem zerrissenen Ärmel. Für ein paar Sekunden standen sie sich auf dem Dach gegenüber, nur er und Jane. Sie sah Verzweiflung in seinen Augen, sah, wie daraus wilde Entschlossenheit wurde.
»Hände in die Luft!«, rief Crowe, während er und Frost hinter Zapata aufs Dach sprangen.
Er saß in der Falle. Ein Cop vor ihm, zwei hinter ihm, alle bewaffnet. Jane sah Zapatas Beine zittern, dachte schon, er würde auf die Knie fallen und sich ergeben. Was er dann tat, schockierte sie.
Er machte einen Satz nach links und rannte auf die gegenüberliegende Dachkante zu. Auf den schmalen Durchgang zwischen den Gebäuden. Nur mit einem olympiareifen Weitsprung könnte ein Mann diesen Abgrund heil überwinden.
Aber er sprang dennoch, stieß sich von der Dachkante ab und flog auf das Nachbargebäude zu. Einen Moment lang schien er in der Luft zu schweben, die Arme ausgestreckt in einem gewaltigen Satz, der ihn beinahe über die Lücke hinweg trug.
Jane rannte hinterher. Sah, wie Zapata sich verzweifelt an der Regenrinne des Nachbarhauses festhielt, während er mit den Beinen in der Luft ruderte, vier Stockwerke über der Erde.
»Mann, ist der wahnsinnig?«, rief Frost.
»Arbato, nach nebenan!«, rief Crowe nach unten, und die beiden Detectives liefen sofort zur anderen Seite der Gasse.
Zapata hing immer noch an der Regenrinne. Er versuchte, sich hochzuziehen, versuchte, mit den Füßen Halt an der Hauswand zu finden. Er schwang ein Bein – nicht hoch genug. Versuchte es noch einmal. Als er gerade den Fuß über die Kante gebracht hatte, löste sich die Regenrinne vom Dach.
Jane schloss die Augen, doch das Kreischen des verbogenen Metalls konnte sie nicht ausblenden, so wenig wie den dumpfen Aufschlag von Zapatas Körper unten auf dem Asphalt.
Irgendwo schrie eine Frau.
19
Zusammengesunken und mit hängendem Kopf saß Maria Salazar am Tisch des Vernehmungsraums und wischte sich die Tränen aus den Augen. Als junge Frau war Maria gewiss eine auffallende Schönheit gewesen, und mit fünfundvierzig sah sie immer noch gut aus, doch durch den venezianischen Spiegel konnte Jane den grauen Haaransatz auf ihrer Kopfhaut erkennen. Ihre Arme, die sie auf den Tisch gestützt hatte, waren kräftig, mit festen Muskeln von der jahrelangen schweren Hausarbeit. Welcher Groll hatte sich in ihr angestaut, während sie die Häuser anderer Leute geputzt und gewienert hatte? Wenn sie die antiken Möbel der Ackermans abgestaubt und ihre Perserteppiche gesaugt hatte, war es ihr je in den Sinn gekommen, dass auch nur eines der Gemälde, eine einzige Smaragdkette aus Mrs. Ackermans Schmuckschatulle ihre Geldsorgen mit einem Schlag aus der Welt schaffen könnte?
»Niemals«, schluchzte Maria im Nebenzimmer. »Ich habe nie irgendetwas gestohlen!«
Crowe, der den bösen Bullen zu Moores gutem Bullen gab, beugte sich weit vor und bleckte voll unverhohlener Aggressivität die Zähne. »Sie haben für Ihren Freund die Alarmanlage deaktiviert!«
»Nein.«
»Sie haben die Küchentür unverschlossen gelassen.«
»Nein.«
»Und sich selbst haben Sie ein felsenfestes Alibi verschafft: Sie haben die Kinder Ihrer Schwester gehütet, während Andres sich ins Haus der Ackermans geschlichen hat. Wollte er sie an dem bewussten Abend nur ausrauben, oder waren die Morde von Anfang an geplant?«
»Andres, er tut niemand etwas zuleide!«
»Seine Fingerabdrücke sind an der Küchentür. Sie sind auch in der Küche.« Crowe lehnte sich noch weiter vor, und Maria wich zurück. Die Frau tat Jane fast leid, denn es gab kaum einen abstoßenderen Anblick als Darren Crowes wutverzerrtes Gesicht, wenn man es direkt vor der Nase hatte. »Er war im Haus, Maria. Ist einfach zur Küchentür reinspaziert.«
»Er hat mir mein Handy gebracht! Ich habe es zu Hause vergessen an dem Morgen, deshalb hat er es mir vorbeigebracht.«
»Und seine Fingerabdrücke in der Küche zurückgelassen?«
»Ich habe ihm Kaffee gemacht. Ich habe den Herd geputzt, und er hat sich einen Moment hingesetzt.«
»Und Mrs. Ackerman findet das in Ordnung? Dass ein wildfremder Mann an ihrem Küchentisch sitzt?«
»Sie hat nichts dagegen. Mrs. Ackerman, sie war immer gut zu mir.«
»Ach, hören Sie
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