Abendruh: Thriller (German Edition)
der gerne deftig aß und dazu tüchtig trank. Als sie das LongHorn Steakhouse betraten, saß er schon da, nippte an einem Martini und studierte die Speisekarte. Er hatte seinen Schmerbauch so prekär zwischen Tisch und Sitzbank gezwängt, dass Jane ihm bedeutete, sitzen zu bleiben, als sie und Frost gegenüber von ihm Platz nahmen. Er stellte seinen Martini ab und beäugte sie mit dem typischen Cop-Blick – die gleiche kühl abschätzende Musterung, der Jane gleichzeitig ihn unterzog. Er war Anfang sechzig, wahrscheinlich kurz vor der Pensionierung, und hatte längst seine jugendliche Figur wie auch den größten Teil seiner Haare verloren. Aber nach seinem durchdringenden Blick zu urteilen, arbeitete hinter diesen Augen immer noch der Verstand eines Polizisten, und er taxierte Jane und Frost sorgfältig, ehe er das Gespräch eröffnete.
»Ich habe schon darauf gewartet, dass endlich jemand kommt und Fragen zu diesem Fall stellt«, begann er.
»Und jetzt sind wir hier«, entgegnete Jane.
»Hmm. Boston PD . Man weiß wirklich nie, welche Wendung diese Geschichte im nächsten Moment nehmen wird. Haben Sie Hunger?«
»Wir könnten schon was vertragen«, meinte Frost.
»Ich habe gerade eine sehr lange Woche bei meiner veganen Tochter in Tallahassee hinter mir. Sie können sich also denken, dass ich nicht wegen des verdammten Salats hier bin.« Er griff wieder nach der Speisekarte. »Ich nehme das Porterhouse. Sechshundert Gramm, mit Ofenkartoffel und gefüllten Champignons. Das sollte mich für die Leiden einer Woche mit nichts als Brokkoli entschädigen.«
Er bestellte sein Steak – »schön blutig« – und dazu noch einen Martini. Seine Woche in Tallahassee musste die reinste Tortur gewesen sein, dachte Jane. Erst nachdem er einen Schluck von seinem zweiten Drink genommen hatte, schien er bereit, zur Sache zu kommen.
»Sie haben die ganze Akte gelesen?«, fragte er.
»Alles, was Sie uns gemailt haben«, antwortete Jane.
»Dann wissen Sie alles, was ich weiß. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein gewöhnlicher Unfall mit einem Kleinflugzeug. Eine einmotorige Cessna Skyhawk stürzt kurz nach dem Start ab; die Trümmerteile sind über ein Waldgebiet verstreut. Der Pilot war den Schilderungen nach absolut penibel, wenn es um die Sicherheit ging, aber Sie wissen ja, wie das ist. Es ist fast immer menschliches Versagen, entweder seitens des Piloten oder des Mechanikers. Ich hatte nichts mit diesem Fall zu tun, bis ich einen Anruf von der Verkehrssicherheitsbehörde bekam. Bei der Untersuchung der geborgenen Trümmerteile waren sie auf Anzeichen dafür gestoßen, dass die Außenhaut von Fragmenten mit hoher Geschwindigkeit durchschlagen worden war. Das hat sie veranlasst, einen Test auf Rückstände von Sprengstoff zu machen. Nageln Sie mich nicht fest, was die chemischen Details angeht, aber sie haben Flüssigkeitschromatografie und Massenspektrometrie eingesetzt. Und sie haben etwas gefunden, was sich Hexahydro-irgendwas nennt. Besser bekannt als Hexogen.«
»Auch Cyclonit genannt«, sagte Frost.
»Sie haben den Bericht also tatsächlich gelesen.«
»Dieser Teil hat mich interessiert. Der Sprengstoff wird vom Militär benutzt, und er ist noch stärker als TNT . Wenn man ihn mit Wachs mischt, kann man ihn formen. Er ist einer der Bestandteile von Semtex.«
Jane sah ihren Kollegen an. »Jetzt weiß ich, warum du gerne Raketenwissenschaftler geworden wärst. Damit du Sachen in die Luft jagen kannst.«
»Und genau das ist mit der kleinen Skyhawk der Yablonskis passiert«, sagte Parris. »Sie wurde in die Luft gejagt. Der Plastiksprengstoff wurde per Funk gezündet. Kein Timer, auch kein Zünder, der bei einer bestimmten Flughöhe ausgelöst wird. Jemand war vor Ort, beobachtete den Start und drückte auf einen Knopf.«
»Es war also kein Irrtum«, sagte Jane. »Nicht das falsche Flugzeug.«
»Ich bin mir fast sicher, dass der Anschlag den Yablonskis galt. Das ist wahrscheinlich nicht das, was Sie von Neils Kollegen bei der NASA gehört haben. Die weigern sich zu glauben, dass irgendjemand ihm nach dem Leben getrachtet haben könnte. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, sie aufzuklären.«
»Ja, genau das haben wir von Dr. Bartusek zu hören bekommen«, bestätigte Jane. »Dass es ein Irrtum sein müsse. Dass Neil keine Feinde gehabt habe.«
»Jeder Mensch hat Feinde. Aber Feinde, die mit Cyclonit herumspielen?« Er schüttelte den Kopf. »Wir reden hier von einem scheißgefährlichen Teufelszeug, wie es
Weitere Kostenlose Bücher