Abendstern - Roman
auf der Straße und stellte erleichtert fest, dass es nicht zum Zusammenstoß gekommen war. Der andere Wagen musste um Millimeter -
ach was, weniger als Millimeter - an ihm vorbeigeschrammt sein.
Er hatte mal wieder Glück gehabt. Er wendete, hielt am Straßenrand und stieg aus. Der Fahrer des anderen Wagens war wahrscheinlich sturzbetrunken. Aber das stimmte nicht. Eine Furie kam auf ihn losgestürmt.
»Wo zum Teufel sind Sie denn hergekommen?«, wollte sie wissen. In der Dunkelheit konnte er nur dunkle Zigeunerlocken um ein blasses Gesicht erkennen.
Tolles Gesicht, ging es ihm durch den Kopf. Riesige schwarze Augen, eine scharf geschnittene Nase, ein großzügiger, üppiger Mund, der seine Sinnlichkeit möglicherweise Collagen-Injektionen verdankte.
Sie zitterte nicht, und er spürte auch keine Angst, als sie jetzt in der Dunkelheit auf einer einsamen Landstraße einem völlig fremden Mann gegenüberstand.
»Lady«, sagte er mit, wie er fand, bewundernswerter Ruhe, »wo zum Teufel sind Sie hergekommen?«
»Von dieser blöden Straße, die aussieht wie all die anderen blöden Straßen hier. Ich habe in beide Richtungen geguckt, habe aber niemanden gesehen. Bis auf einmal … Wie sind Sie … Ach, ist ja auch egal. Wir leben ja noch.«
»Ja.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und musterte ihr Auto. »Komme ich aus dem Graben wieder raus?«
»Ja, aber Sie haben einen Platten.«
»Was … Ach, du liebe Güte! Sie müssen ihn wechseln.« Verärgert trat sie gegen den platten Hinterreifen. »Das ist das Mindeste, was Sie tun können.«
Das fand er eigentlich nicht, schließlich hätte er einfach
zu seinem Auto gehen und davonfahren können. Aber ihre Streitlust war erfrischend. »Machen Sie den Kofferraum auf. Ich brauche den Ersatzreifen und den Wagenheber.«
Er hob einen Koffer heraus und stellte ihn auf die Erde, dann warf er einen Blick auf ihren Ersatzreifen. Kopfschüttelnd meinte er: »Das ist wohl nicht Ihr Tag. Ihr Ersatzreifen ist im Eimer.«
»Das kann nicht sein. Wovon reden Sie?« Sie schob ihn beiseite und blickte selbst hinein. »Oh, verdammt! Ich bringe sie um! Meine Schwester.« Erregt lief sie auf und ab. »Ich habe ihr für zwei Wochen meinen Wagen geliehen. Das ist so typisch. Sie ruiniert mir einen Reifen, aber repariert sie ihn? Erwähnt sie es überhaupt? Nein.«
Sie schob sich die Haare aus dem Gesicht. »Ich rufe doch um diese Tageszeit kein Abschleppunternehmen an, dass ich irgendwo im Nichts festsitze. Sie müssen mich mitnehmen.«
»Ach ja?«
»Schließlich ist es ja Ihre Schuld. Wenigstens zum Teil.«
»Was für einen Teil?«
»Ich weiß nicht, und ich bin auch zu müde und zu wütend, um mich dafür zu interessieren. Ich brauche eine Mitfahrgelegenheit.«
»Zu Ihren Diensten. Wohin?«
»Hawkins Hollow.«
Er lächelte. »Wie praktisch. Dort fahre ich auch gerade hin.« Er wies auf sein Auto. »Gage Turner«, fügte er hinzu.
Sie machte eine ziemlich königliche Geste zu ihrem Koffer. »Cybil Kinski.« Als sie sein Auto in Augenschein nahm, zog sie die Augenbrauen hoch. »Sie haben einen sehr schönen Wagen, Mr Turner.«
»Ja, und er läuft.«
14
Es war zwar schon ziemlich spät, aber Cal war nicht besonders überrascht, als er Fox’ Wagen in seiner Einfahrt sah. Es überraschte ihn auch nicht, dass Fox schläfrig blinzelnd auf der Couch vor dem Fernseher lag. Neben ihm auf dem Fußboden lag Lump und schnarchte.
Auf dem Couchtisch standen eine Dose Coke, Cals letzter Beutel Barbecue Kartoffelchips und eine Schachtel mit Hundekuchen. Vermutlich Überreste einer fröhlichen Mann-Hund-Party.
»Was machst du denn hier?«, fragte Fox.
»Ich wohne hier.«
»Hat sie dich rausgeworfen?«
»Nein. Ich bin nach Hause gefahren.« Cal griff in die Chipstüte, fand aber nur noch ein paar Krümel. »Wie viel hast du ihm denn davon gegeben?«
Fox warf einen Blick auf die Hundekuchen. »Ein paar. Vielleicht fünf. Warum bist du so gereizt?«
Cal ergriff die Coke-Dose und trank den warmen Rest aus. »Ich habe so ein Gefühl, ein … Hast du heute Abend nichts gespürt?«
»Meine Gefühle haben sich in den letzten zwei Wochen ziemlich in Grenzen gehalten.« Fox rieb sich mit beiden Händen durchs Gesicht. »Aber du hast recht. Kurz bevor du gekommen bist, war da etwas. Ich habe halb geschlafen, und auf einmal war mir, als ob der Wind durch den Kamin rauschen würde.«
»Ja.« Cal trat ans Fenster und blickte hinaus. »Hast du in der letzten Zeit nach deinen Eltern
Weitere Kostenlose Bücher