Abenteuer des Werner Holt
Hingerichteten, die beim Wirtshaus lagen, in den Keller getragen. Sepp hat sich hinter Gerümpel verkrochen, er ist fast gestorben vor Angst. Dich haben wir am Talweg aufgelesen. Ein Wagen hat die Verwundeten weggebracht, vier sind unterwegs gestorben. Den Rest der Abteilung haben die Panzergrenadiere auf ihren Wagen mitgenommen.« Er verschränkte die Hände unter dem Kopf.
Holt lag wieder mit geschlossenen Augen. Sepp hat es also auch überstanden. Ich hab es überstanden. Wozu eigentlich?
Am frühen Abend begann Meier tatsächlich zu simulieren. Wolzow leitete ihn an. Schwester Regine versah den Dienst, wer weiß, wann sie einmal frei hatte. Sie stand an Meiers Bett. »Aber nun strecken Sie doch mal das Bein aus!« – »Nein!« stöhnte Meier. »Da soll es ja noch mehr weh tun!« – »Soso«, sagte sie, »da will ich mal den Arzt holen!«
»War’s gut?« fragte Meier. Wolzow rief: »Himmelhohes Rindvieh, du darfst doch nicht sagen, es
soll
weh tun, du mußt sagen, es
tut
weh! Und wenn er dich abfühlt, dann mußt du Au brüllen!«
Der Assistenzarzt, ein noch recht junger Mann mit starken Gläsern in der dunklen Hornbrille, beugte sich über Meiers Bett, wobei er Wolzow den Rücken zuwandte. Er schlug die Decke zurück. Schwester Regine stand neben ihm. »Tut das weh?« – »Überall!« ächzte Meier. Er drehte das Gesicht zu Wolzow hin. Wolzow kniete im Bett und gab Meier Zeichen. Meier verstand nicht. Er hatte offenbar so große Angst, als Simulant entlarvt zu werden, daß er ganz leidend aussah. – »Tut es hier weh?« – »Stöhnen!!« rief Wolzow ungeduldig. Meier stöhnte. Der Arzt drehte sich herum. »Was ist denn mit Ihnen los?« – »… tut der Kerl«, sagte Wolzow rasch, »stöhnen tut der, daß einem ganz bange wird!« Der Arzt sagte unwillig: »Sie haben wohl schwache Nerven!« Dann untersuchte er weiter. »Tut das weh?« – »Nein … Au!!« schrie Meier. – »Drehn Sie sich zur Wand!« Meier wälzte sich auf die linke Seite und stöhnte. – »Was ist denn?« – »Es tut … weil es immer mehr, auf dieser Seite«, stammelte Meier. – »Einwandfrei«, sagte der Arzt zu Schwester Regine, »alles hübsch beisammen, komischerweisekeine Abwehrspannung, die fehlt aber öfter mal. Rektal sparen wir uns, es ist einwandfrei.« – »Und brechen!« sagte Meier zaghaft. »Vorhin, da war mir so übel, und der
ganze
Bauch tut weh, nicht bloß rechts!«
»Geben Sie ausnahmsweise Dilaudid«, sagte der Arzt. »Und früh gleich fertigmachen und in den Opeh, der Chef operiert grundsätzlich nicht im Intermediärstadium, ich seh ihn heut noch und sage Bescheid. Aber vorher brauch ich den Leukozytenwert, läßt sich das machen?«
Kaum hatte sich die Tür geschlossen, rief Wolzow: »Die Butter! Rasch, friß die Butter auf!« Meier holte mit zitternder Hand eine gelbe Bakelitdose aus dem Nachttisch, fuhr mit zwei Fingern hinein und strich sich die gelbe Butter in den Mund, wieder und wieder. Dann warf er die Dose ins Schubfach und schluckte. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Er schluckte, er würgte. »Nicht brechen!« rief Wolzow. »Zwing’s runter!« Meier preßte die Hand vor den Mund. Er würgte immer qualvoller. Schwester Regine trat ins Zimmer und machte sofort kehrt, aber als sie mit einer Brechschale zurückkam, da hatte Meier es geschafft und lag schweißnaß und erschöpft in seinem Bett. »Geht es jetzt besser?« fragte sie mitleidig. »Warten Sie, ich mach Ihnen erst die Spritze zurecht!«
»Siehst du!« sagte Wolzow triumphierend. »Der August Meier wird operiert! Und dann schön die Wunde eitern lassen, du mußt dir den Dreck von deinem Furunkel reinschmieren, das haut hin! Aber jetzt müssen wir unbedingt erst noch zwanzig Minuten vergehen lassen, am besten, ich bring dich solange aufs Klo. Los, Tempo!« Er sprang aus dem Bett. »Kumpel«, sagte Meier, »das vergeß ich dir nie! Wenn der Krieg aus ist, mußt du mich besuchen, du auch, Holt, ich hab ein Stück Acker, da schlacht ich die beste Gans! Es ist zwischen Erfurt und Weimar …« Sie verschwanden durch die Tür, beide im Nachthemd.
Schwester Regine sah erstaunt auf die leeren Betten: »Nanu?« Sie legte die Spritze auf den kleinen Instrumententisch am Fenster, dann stellte sie sich zu Holt ans Fußende des Bettes. Es dunkelte.»Und wie geht’s uns?« fragte sie. – »Danke. Ich hab bis jetzt keine Schmerzen gehabt. Die Tablette war so schön beruhigend.« – »Sooo?« sagte sie gedehnt. »Aber das will ich nicht
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