Abenteuer des Werner Holt
hier mit den allerbesten Wünschen für baldige Genesung. Meine Frau hat recht viel Freude an Gundels gelegentlichen Besuchen.« Als er wieder abreiste und sich verabschiedete, beugte er sich zu Holts Bett herab. »Übrigens … Sie brauchen nicht die geringste Sorge zu haben. Es ist alles bedacht, in casum casus. Was eventuell den Vormund erwartet, wird keinesfalls das Mündel treffen, dessen versichere ich Sie!«
Holt las Gundels Brief, dankbar, aber auch beschämt. Die Gedanken an Gundel hatten etwas Bedrückendes. Werde ich ihr jemals wieder unter die Augen treten können? Ich darf ihr niemals eingestehen, daß ich geschossen hätte, damals, auf dem Schulhof … Der Gedanke war wie eine Wunde, die nicht heilen will. Und wenn nun so ein Befehl tatsächlich … und wenn ich ihn ausführe … Dann … Es sprach in ihm: Wie willst du weiterleben, das Kainsmal an der Stirn?
Die Gedanken quälten ihn. Er sagte im Garten zu Gomulka: »Ich muß dich was fragen. Als du auf dem Schulhof hinter dem Hausmeister standst … wenn Böhm dir da befohlen hätte …« Gomulka bewegte ablehnend die Hand. Holt verstummte.
»Ich weiß nicht, ob es viel Sinn hat, darüber nachzugrübeln«, sagte Gomulka schließlich. »Drück dich nicht!« sagte Holt. »Hättest du ihn erschossen? Ja oder nein!«
»Damals: ja.«
»Und heute?«
»Heute …?« Gomulka atmete rasch. »Ich würde auf Böhm schießen! Ich würde um mich schießen! Ich wär ja sowieso hin,wenn ich den Befehl verweiger. Dann soll aber noch jemand mitgehn von dem Gesindel, das uns so etwas befiehlt.«
Holt hörte die Stimme der Slowakin im Keller: Schlagt eure Anführer tot! Er fragte atemlos: »Würdest du das wirklich tun, Sepp?«
Gomulka schwieg. »Ich möchte«, sagte er dann. »Aber … ob ich den Mut habe … Ich weiß nicht …«
»Ob es welche gibt, die so einen Befehl verweigern?«
»Ich glaub schon.«
Holt rief: »Aber wir müssen doch jeden Befehl ausführen! Das ist doch das oberste Gesetz des Soldaten! Wo käm denn die Wehrmacht hin, wenn wir Befehle verweigern! Befehl ist Befehl!«
Gomulka lächelte. »Wo die Wehrmacht hinkäm? Wo kommt sie denn so hin, Werner! Und was du ›oberstes Gesetz‹ nennst … Da haben längst alle Gesetze ihre Gültigkeit verloren, nur dieses eine nicht!« Er holte aus der Brusttasche sein kleines Notizbuch und blätterte darin. »›Es ist in keinem Kriegsgesetz vorgesehen‹« las er, »›daß ein Soldat bei einem schimpflichen Verbrechen dadurch straffrei wird, daß er sich auf seinen Vorgesetzten beruft, zumal wenn dessen Anordnungen in eklatantem Widerspruch zu jeder menschlichen Moral und jeder internationalen Übung der Kriegsführung stehen.‹ Wie findest du das?«
»Das?« sagte Holt verwirrt. »Das ist … die Genfer Konvention, nicht?«
Da lachte Gomulka, bitter, verzweifelt. Er rief: »Denk an die Sägemühle! Das hier … das hat Goebbels zu Pfingsten im ›Völkischen Beobachter‹ geschrieben! Gemeint sind die amerikanischen Flieger, die unsere Städte bombardieren.«
»Aber … das ist doch richtig!«
»Und wer bestimmt, was ein ›schimpfliches Verbrechen‹ ist? Und was ist ›menschliche Moral‹? Überhaupt …«, höhnte Gomulka, »›menschliche Moral‹, das hätte uns der Ziesche um die Ohren gehauen, Herrenmoral des nordischen Menschen gibt es, sonst nichts!«
Heilloser Wirrwarr! Es fehlt irgendwas, dachte Holt,
es fehlt ein Maßstab …!
»Ein Maßstab fehlt, Sepp«, sagte er, »an dem sich messen läßt, was gerecht und ungerecht ist!«
»Jeder behauptet, recht zu haben«, antwortete Gomulka. »Es kommt auf die Maßstäbe an. Es gibt einen sehr einfachen Maßstab, Ziesches Maßstab: wir Deutsche haben recht, immer, auch in der Mühle, wir dürfen alles.«
»Aber so … kann es nicht sein.«
»Wenn du auf das hörst, was die … die bei uns sagen«, fuhr Gomulka fort, »dann wirst du immer verwirrter, dann weißt du gar nichts mehr. Die drehn alles so, als ob sie recht hätten.«
»Der Archimedische Punkt fehlt«, sagte Holt.
»Ja … Hast recht. Es muß etwas geben, wo keiner lügen kann. Wo die Tatsachen sprechen. Wo man sagen kann: Sei ruhig, hier ist der Beweis, du hast unrecht, du hast schuld. Der erste Schuß ist es nicht, solche … äußerlichen Tatsachen kann man organisieren, frisieren, verschleiern. Es muß etwas Innewohnendes geben, etwas im Wesen der Welt.«
»Nicht vielleicht außer ihr?« fragte Holt.
»Du meinst Gott? So sagen viele. Dauernd wird von Gott geredet,
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