Abenteuer des Werner Holt
nur das Gefühl … durch die Rasse kann die heutige Welt den heldischen Gedanken zurückgewinnen.« Wieder überkam den Leutnant jene eifernde Beredsamkeit. Holt beobachtete den Offizier mit Skepsis und Mißtrauen. Wozu das?
»… zwar nur im nordischen Blut: die Germanen oder die Nacht, das ist heute wie einst die Losung.«
Die Rekruten dösten. Nur wenige hörten zu. Der Leutnant sagte: »Das Leben des Helden ist das Leben, das wir uns erstreben, das Leben der nach Beute und Sieg lüstern schweifenden blonden Bestie. Wir können nur dadurch Helden sein, daß wir unser Jahrhundert zum Beginn einer neuen Welt gestalten. Denn der Held steht immer in den Anfängen der Welt. Sein Gegenbild ist der Nachfahr. Darum hassen alle Späten das Heldische.«
Es ist klar, daß es keinen interessiert, dachte Holt. Wenn er sagen würde, wie der Krieg weitergeht, dann würden alle zuhören. Außerdem hat er das Wesen des Helden schon ein paarmal erklärt.
»In der Kindheit ist der Held faul und lebt für sich. Es gibt eine heldische Faulheit.«
Wolzow stieß Holt in den Rücken und flüsterte: »Ich! Ich! Aber genau!«
»Heldische Faulheit ist Ruhen in sich selbst: gutmütig, wortfaul, gleichgiltig …« Er sagte
gleich giltig
. »… bis dann der Berserkergang kommt, dieser urmenschliche Ausbruch von Kraft und Kampflust …«
»Jawohl«, flüsterte Wolzow in Holts Rücken. »Vier Wochen faul wie die Pest, aber dann mal richtig dreschen!«
»… erlebt der Held als Jüngling seine Einsamkeit, bis ihm als Mann die Einsamkeit des Helden Stolz und Kraft …«
Vetter nickte ein, aber Wolzow stieß ihn in die Seite.
»Darum liebt der Held das Meer und die Fahrt im Wikingsdrachen, darum steigt er hinauf ins Gebirg. Droben fühlt er sichewig, den Aaren des Anfangs gefreundet, und spürt, was einzig ihn ausfüllt: zeitlose Macht! Held und All, das ist der tiefste Blick in den Tag des Geschehens.«
Den Aaren des Anfangs gefreundet? Jetzt ist er ganz groß in Fahrt! Komisch, ich hör ihm zu und hör jedes Wort und hab doch keine Ahnung, was er eigentlich redet!
»Der Held hat’s gewagt, ein Schicksal zu leben, den Tod nicht zu fürchten und vielen verhaßt zu sein. Er kennt seinen Reichtum, er reckt seine Arme und schreitet hinein. Daß noch alles zu tun ist, daß rings ein Anfang und überall Bestätigung glänzt, das ist die heldische Zuversicht, die nur der Reine kennt, der Edelgeborene.«
Und vielen verhaßt zu sein! Holts Gedanken irrten ab. Das soll also etwas Großes, Heldisches sein, wenn man sich vielen verhaßt macht …?
»Es ist seltsam bestellt mit dem Schicksal des Helden … Revetcki!« rief Wehnert plötzlich, und ein Ruck ging durch die Zuhörer. Das Gesicht des Leutnants war zornrot. »Menke, Hintz, Otzdorf und Pleß! Daß Sie mir nachher die Schweine fertigmachen, Revetcki, bis sie röcheln! Im Unterricht schlafen! Ihr undeutsches Gesindel, ich treib euch den inneren Schweinehund aus!«
Jetzt hat er todsicher den Faden verloren, dachte Holt, während er dem Leutnant aufmerksam ins Gesicht sah, aber er kann fortfahren, wo er will, es paßt immer alles überall.
»Es ist seltsam bestellt mit dem Schicksal des Helden«, wiederholte der Leutnant. »Begreifen wir ihn und seine Schicksalsschau, so begreifen wir ihn und seine ganze Welt.«
Schicksal, immer wieder Schicksal, dachte Holt: Was ist Schicksal?
»Der heldische Haß, o dieser Griff Thors um seinen Hammer, daß die Knöchel der Hand weiß werden, diese Herrlichkeit heldischen Hassens, prasselnd in die Welt, daß den Starken in ihren Wäldern der Atem stockt! Erst seit der Haß, der heldische Haß wieder gelehrt werden darf, ist ein Anfang über Deutschland.«
Nach dem heldischen Haß kommt immer die heldische Sittlichkeit, dachte Holt.
»Aus der edlen Entfesselung der Sinne, die eine alte Zeit gekannt hat, sind die vielerlei Unzuchtsverfahren des Genießers geworden. Die Unzucht früherer Zeit …« – die Aufmerksamkeit hob sich – »… war ein Erlebnis, hatte ihren eigenen Spaß, ihr schenkelklatschendes Pathos und ihre bunten Galgenvögel, die etwas opfern konnten, damit es herrlich am Morgen in einer Gosse endete …«
Vetter räusperte sich laut.
»So mag sein wildes Blut den Helden in den Urstreit schleudern des Geschlechtlichen und mag ihn ringen lassen um den Sinn von Mann und Weib, der zu erleben ist, nie zu erklügeln! Und fessellos ausbrechen will das Geschlechtliche, darin liegt die Fragwürdigkeit der Ehe für manche Männer
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