Abenteuer des Werner Holt
übles Frauenzimmer von dreißig Jahren mit weißgebleichtem Haar, leicht verwachsen, heute noch greller als sonst geschminkt. Sie hatte anfangs bei den Offizieren serviert, aber nun ließen sie die Unteroffiziere nicht mehr an die Arbeit. Am Offizierstisch standen Batterien von Wein- und Kognakflaschen auf der weißgedeckten Tafel, Konfektschalen und geöffnete Zigarrenkisten. Holt sah den Abteilungskommandeur, Major Reichert, zum erstenmal. Zu seiner Rechten saß der sagenhafte Hauptmann Weber, Chef der IV. Kompanie, sagenhaft ob seiner lückenlosen Sammlung von Kriegsauszeichnungen, mehrfach imWehrmachtbericht genannt und nun seit einem halben Jahr endgültig beim Ersatzheer gelandet: einarmig, den linken Ärmel der zweireihigen schwarzen Uniformjacke in die Achsel eingeschlagen, einäugig, das rechte Auge von einer schwarzen Binde bedeckt, das Gesicht von Narben zerhackt, so saß er kerzengerade neben dem Major und hob mit einer eckigen Bewegung das Weinglas zum Mund. Er trug heute an der Jacke keinen Orden, keine Medaille, nur um den Hals das Ritterkreuz.
»Sieh ihn dir an!« sagte Wolzow zu Holt. »Der Mann hat den Dnepr-Übergang bei Rogatschow mitgemacht, dann war er bei Mogilew eingekesselt und hat sich mit seinen Henschel-Tigern nach Westen durchgeschlagen, da ist die ganze Kompanie draufgegangen, einzig er ist mit dem Umsteigewagen durchgekommen!«
»Ordonnanz!« krakeelte Revetcki am Unteroffizierstisch. Er hatte trübe Augen. »Holt! Uns ist so kannibalisch wohl … Ganymed, du findiger Engel …!« Der Schluckauf plagte ihn. »Hier fehlt nur eins: Schnaps und … Holt! Wo ist die Toppsau hin, die Bucklige? Das Aas verlangt zehn Mark!« Er schrie: »Anstatt froh zu sein, wenn sie ein preußischer Korporal …« Der Schluckauf zerrüttete ihn. »Da sagte ich: Nein danke! Dafür kann ich ja zweimal in den Puff gehn!« Unteroffizier Boek brüllte: »Du wirst den Spund doch nicht etwa bitten! Seit wann werden die Dreckspunde denn gebeten! Gib dem Spund doch einen Befehl! Sag dem Spund doch, er wird morgen den ganzen Feiertag geschliffen, ge-schliiiifen, bis ihm das Hirn verdampft!« – »Los, schaff uns Schnaps«, schrie Revetcki, »aber schnell, sonst schleif ich dich zum Eunuchen!«
Wolzow zog Holt zur Seite: »Wir müssen Revetcki und Boek jetzt derartig besoffen machen, daß sie morgen nicht schnaufen können!« – »Also los«, sagte Holt. An der Theke füllte der Kantinenwirt Schnapsgläser.
Jemand faßte Holt von hinten am Arm und drehte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt herum. Das war Oberfeldwebel Burgkert. »Junge«, sagte er, »Ordonnanz, wie heißt du?« – »PanzerschützeHolt, vom Ausbildungszug der Stabskompanie.« Jeder kannte den Oberfeldwebel. Er ließ sich von niemandem etwas sagen, grüßte die Offiziere lasch, herablassend und erwiderte den Gruß Untergebener mit einem Kopfnicken. Heute hatte er sämtliche Orden angelegt. Er war so groß wie Wolzow, aber viel breiter, bulliger. Holts Blick glitt über die schwarze Uniformjacke. EK I und EK II, zählte er, goldenes Verwundetenabzeichen, silberne Nahkampfspange, Deutsches Kreuz in Gold, am Ärmel sieben Panzervernichtungsabzeichen … – »Schau dir den Ramsch ruhig an, mein Junge!« sagte der Oberfeldwebel mit heiserem Baß, und er hielt Holt noch immer am Arm fest. »Wenn du genug geglotzt hast, dann holst du für mich zwei Flaschen Kognak, aber nicht solchen Fuseldreck, sondern den gleichen, den die Offiziere bekommen! Zwei Flaschen, zwei Gläser, es müssen Schwenkschalen sein! Das bringst du mir in die Ecke!« Er deutete in das trüb erleuchtete Ende der Fahrzeughalle. »Los!«
Holt lief zur Theke. »Zwei Flaschen für den Kommandeur! Kognak! Und zwei Schwenkschalen!« Die Schwenkschalen tilgten das Mißtrauen. Der Oberfeldwebel saß auf einem leeren Bierfaß, er nahm Holt die Flaschen aus der Hand und studierte die Etiketten. »Gut!« Er stellte eine Flasche auf den Boden und füllte die beiden Schwenkschalen. »Trink, Rekrut!« Der Lärm in der Halle ebbte ab. Irgendwo grölte ein Dutzend betrunkener Stimmen: »Wie einst, Lilli-Marleeeeen!« Dann verstummte auch das. Bei der improvisierten Bühne war der Major, offensichtlich stark betrunken, auf die Offizierstafel geklettert, hielt ein gefülltes Sektglas in der Hand und brüllte: »Hoch … Panzer … elf! … Es lebe … die ruhmreiche … ungeschlagene … 11. Panzerdivision!!« – »Ungeschlagen!« sagte der Oberfeldwebel. Seine Stimme hatte alles Kratzige
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