Abenteuer des Werner Holt
Ardennenoffensive eintraf. Wehnert und Wolzow standen bis tief in die Nacht am Sandkasten, wo sie die Landschaft zwischen Schneifel und Hohem Venn aufgebaut hatten. Holt mußte seinen Schlaf opfern und mit dem Zeigestock die kleinen Panzer zurechtsetzen. Wehnert wußte mehr Einzelheiten, als der Wehrmachtbericht meldete. Wolzow studierte die Karte, stocherte mit dem Finger im Sandkasten herum und sagte: »Die Offensive ist nach allen Regeln der Kriegskunst angelegt!« Einen Tag vor Heiligabend standen sie das letztemal am Sandkasten. Bis zum Jahresende klangen die Berichte vom Fortgang der Offensive optimistisch. Dann brachen jegliche Illusionen zusammen.
Wenige Tage vor Weihnachten wurden sie vereidigt. Es war eine flüchtige Zeremonie, die an den Rekruten ohne Eindruck vorüberging. Nur Wolzow nahm sie ernst. »Jetzt sind wir vereidigt«,sagte er, »jetzt haben wir bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, was auch kommen mag!«
Revetcki kündigte die Abteilungs-Weihnachtsfeier an: »Ich habe euch ab sofort seelisch zu läutern, damit ihr in der hohen Nacht der klaren Sterne mit schuldlosem Antlitz vor das heilige Jesulein tretet!«
»Seelisch läutern?« sagte Holt. »Schleifen meint das scheinheilige Aas!«
Revetcki trat in die Stube. »Wiese! Öffnen Sie sofort Ihre Halsbinde!« Wiese gehorchte. Revetcki besichtigte einen Spind. Dann fuhr er Wiese an: »Das ist un-möööglich! Der Kerl läuft mit offener Halsbinde herum! Dafür werden Sie sechs Stunden sonderbehandelt! Machen Sie sich fertig, ehe ich Sie fertigmache, schreiben Sie noch ein paar Zeilen an Ihre Hinterbliebenen!«
Peter Wiese wurde bleich.
Revetcki sagte: »Oder wollen Sie ein Ablaßbriefchen kaufen? Was machen Sie in der stillen, heiligen Nacht mit Ihren Schnapsmarken?«
»Herr Unteroffizier«, stammelte Wiese, Tränen der Erleichterung in den Augen, »die geb ich Ihnen!« – »Welch liebliches Geschenk!« rief Revetcki, und sein Gesicht warf abenteuerliche Falten. »Die geöffnete Halsbinde ist großzügig verziehen!«
Dann war Heiligabend. Wolzow, Holt, Vetter, Gomulka und noch ein paar andere waren zu Unteroffiziers-Ordonnanzen befohlen und holten sich in der Kammer neue, schneeweiße Drillichjacken. Die größte der Fahrzeughallen war ausgeräumt und mit Tischen und Bänken vollgestellt worden. An der Wand zog sich eine Theke entlang. Vorn war ein Podium aufgebaut. Dort sang am Abend ein Soldatenchor: »O du fröhliche …« Zwei große Weihnachtsbäume warfen schwaches Kerzenlicht in die Halle. Major Reichert, der Abteilungskommandeur, hielt eine Ansprache. Holt, in der weißen Drillichjacke, stand an der Theke und hielt ein Tablett bereit.
Es war öde und leer in ihm. Weihnachten, dachte er … Niemand hatte ihm geschrieben, auch Gundel nicht. Wortfetzen aus der Rede des Kommandeurs drangen an sein Ohr: »SechsteKriegsweihnacht … Führer unerschütterlich … Unerschütterliches Vertrauen … Fest der Hoffnung, Fest der Zuversicht … Endsieg.« Der Chor setzte wieder ein, dann sangen in der Halle mehr als tausend kratzige, rauhe Stimmen: »Stille Nacht, heilige Nacht …« Holt lehnte an der Theke. Gomulka, neben ihm, verzog keine Miene. Wolzow trat an Holts Seite und stieß ihn in die Rippen: »Alter Krieger, trink einen Schnaps!« Es war ein Bierglas, halb voll Korn, Holt rang sekundenlang nach Atem, dann wischte er sich über die Stirn. Ein dünner, durchsichtiger Schleier zog sich über seine Sinne: die Kerzen an den Bäumen strahlten heller, das einsetzende Summen der tausend Stimmen rauschte fern wie Meeresbrandung. Das war das letztemal, daß ich weich geworden bin! dachte er. Schlägt’s dich in Scherben, ich steh für zwei, und geht’s ans Sterben, in bin dabei … »Noch leben wir«, sagte er, und Wolzow knuffte ihn wieder in die Seite und meinte: »Und ob! Zwei alte Krieger wie wir!«
Der Abend entartete rasch zu einem Saufgelage. Holt trug Tabletts mit Schnaps- und Biergläsern von der Theke zu den Unteroffizieren, wischte Bierpfützen auf, sammelte Schnapsmarken ein und trug sie zur Theke. Anfangs wurden die Marken nachgezählt, bald mußte Holt sie ungezählt in einen Kasten werfen, wobei er fleißig betrog. Mit der Zeit ging die Kontrolle verloren.
Die Unteroffiziere betranken sich rasch. Revetcki rollte mit den Augen, trank und rief: »Keinen Tropfen trinkt das Huhn, ohne einen Blick zum Himmel aufzutun!« In einer Ecke, umringt von Unteroffizieren und Feldwebeln, stand die Tochter des Kantinenwirtes, ein
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