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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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diese drei Worte.
    Da hob Wolzow den Kopf und sah Holt an.
    Holt schwieg.
    »Komm mit!« sagte Gomulka noch einmal.
    Holt schwieg.
    Der Gefreite rief: »Besinn dich nicht lange, los!«
    »Ich kann nicht!« rief Holt. Im Bruchteil einer Sekunde liefen all die eingedrillten Begriffe durch seine Gedanken: Vaterland, Treue, Ehre, Pflicht. »Ich kann doch nicht zu den Russen! Ich bin doch Deutscher!«
    »Junge!« rief der Gefreite. »Mach Schluß mit den Phrasen! Damit haben sie die Arbeiter lange genug aufeinandergehetzt! Sieh endlich ein, wer unser Todfeind ist! … Es heißt nicht: Russen und Deutsche, sondern es heißt immer noch: Bourgeois und Proletarier! Bist du Fabrikbesitzer? Heißt du Krupp? Also! Worauf wartest du?«
    »Bourgeois und Proletarier …«, sagte Holt, »was soll mir das! Damit kann ich nichts anfangen! Wir sind alle Deutsche!«
    »Auch deine Gundel«, sagte Gomulka.
    Holt senkte den Kopf.
    Die Dunkelheit des kleinen Raumes war auf einmal wie ein Vorhang vor seinen Blicken aufgezogen. Gleißende Helle war da, und sie blendete ihn, sonnendurchglühte Landschaft, blauer Himmel über wogendem Korn. Und Gundels Stimme: Auch ich bin schonangespuckt worden, nun weißt du’s, alle waren besser als ich und haben auf mich geschrien: Dreckstück.
    Dann war wieder Dunkel, vom Licht der Kerze durchflackert.
    Gundel, Deutsche, solche und solche, Deutsche bespucken Deutsche, die einen zittern vor dem Ende, die andern warten auf das Ende. Zu welchen gehör ich?
    »Gilbert!« rief Holt. »So sag du doch was!«
    Wolzow erhob sich. Er setzte den Helm auf und zog den Riemen fest, daß er ins Fleisch schnitt. »Ich geh den Vetter ablösen. Und du, Werner? Wer noch Mark in den Knochen hat, der kämpft!«
    »Und wofür?« schrie der Gefreite, nach vorn geneigt, und in seinen Augen glühte ein Haß, wie ihn Holt im Leben nur ein einziges Mal gesehen hatte, damals, im Schuppen, als sie das Beil hob, und diese Erinnerung stieß ihn noch tiefer in die Verzweiflung.
    »Für wen? Für Krupp und die IG und alle die Blutsauger, damit das faschistische Gesindel noch ein bißchen länger leben und die Völker schinden kann! Dafür kämpfst du!«
    Wolzow tippte mit dem Finger unter dem Helmrand an die Stirn. »Ich will dir sagen, wofür! Kapieren wirst du Stückchen Plebs es doch nicht!« Er ging zur Tür. »Für meine Soldatenehre!« Er warf die Tür hinter sich ins Schloß.
    Der Gefreite sprang auf, er wies mit der ausgestreckten Hand zur Tür. »Das sind sie! So sehn sie aus, die Halsabschneider, die Verrückten, das Generalsgesindel und Junkerpack! Sie sind genauso schlimm wie die Faschisten! Sie sind noch schlimmer! Die Faschisten verschwinden, die fliegen auf den Schrotthaufen, und zwar bald, die warn nicht lebensfähig, jawohl, Fehlcharge … fort! Aber das Militaristengesindel, das ist zäher, das will nicht aussterben, das lebt weiter, das hetzt weiter, das mordet weiter!«
    »Sei doch still!« sagte Holt. Er sah auf Gomulka und hörte ihn noch einmal sagen: »Komm mit, Werner!«
    Holt stand auf. Wär doch alles vorbei! Er band den Helm fest und nahm die Maschinenpistole. »Ich kann nicht.«
    »Werner! Mach die Augen auf! Eh es zu spät ist!«
    Holt sprach gegen die Wand. »Ich kann nicht. Ich hab einmalalles geglaubt, weil ich nichts gewußt hab. Jetzt, wo ich alles weiß, und alles war falsch und umsonst und ganz anders, da kann ich nichts mehr glauben. Ich werd draufgehn, oder ich werd einmal dastehn als … Verbrecher, mag sein, es ist alles gleich. Nur eins darf nie sein: daß ich vielleicht doch einmal aufwach und sehen muß … ich hab Deutschland verraten in seiner schwersten Stunde.«
    »Deutschland?« rief der Gefreite. Er trat vor Holt hin und packte ihn am Arm. »Du nimmst mir das Wort nicht in den Mund! Hitlers schwerste Stunde, meinst du, jawohl … aber das wird Deutschlands schönste sein!« Er schob ihn zur Tür. »Hau ab, Bourgeoissöhnchen!«
    Holt trat verstört ins Freie.
     
    Es schneite nicht mehr. Der frischgefallene Schnee lag kniehoch und war an der Straße zu weißen Dünen verweht, über die noch immer ein eisiger Wind pfiff. Der Himmel war sternklar.
    Vetter und Wolzow standen am Rande des Waldes, wo sich der Wind in den Bäumen verfing. Wolzow sagte: »Na also, Werner! Ich hab’s ja gewußt!« – »Sei still«, sagte Holt. Dann zog er die weiße Kapuze über den Helm. Vetter rief: »Also, der Sepp, der muß ja übergeschnappt sein! Wo das doch noch gar nicht feststeht, ob wir den Krieg

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