Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Schwemme von Überseeweinen und sinkende Preise durch einen enormen Druck der Handelsriesen bringen viele Erzeuger an den Rand des Existenzminimums. Es sind nur wenige sogenannte Top- Weingüter, die ihre Preise noch selbst bestimmen und so auch den Rahm für ihre harte Arbeit abschöpfen können. Wahrlich kein leichtes Los! Hm, mit dem Einkauf billiger Weine unterstütze ich auf dem Camino die Weinbauern auch nicht gerade vorbildlich… .
Unsere nette Unterhaltung endete, als der Regen aufhörte. Der Weinberg rief, zumindest den Winzer. Für mich war es an der Zeit, die letzten 6 km unter die Sohle zu nehmen. Durch die vielen Unterbrechungen war es bereits 17 Uhr, später als ursprünglich erwartet. Die letzte Stunde wurde ich wieder von Sonnenschein begleitet, die abziehenden Wolkentürme in sicherer Entfernung sorgten für schöne Farbkontraste.
Leichten Schrittes erreichte ich Saint-Ferme, ein 300-Einwohner-Dorf, in dem besonders die imposante Natursteinfront der Klosterkirche ins Auge sticht. Sie gehört zu einer ehemaligen Benediktinerabtei aus dem 12. Jahrhundert. Wie in so vielen alten Klöstern sind auch hier heute Verwaltungsbüros untergebracht. In den frei zugänglichen Teilen innerhalb der altehrwürdigen Gemäuer wurde ich regelrecht von Gedanken an die hunderte Jahre währende Geschichte des Klosters gefangen genommen. Im Innenhof wartete ich darauf, dass mir Mönche in ihren Kutten entgegenkommen, in der Kirche wünschte ich mir dunkle sakrale Gesänge der Glaubensbrüder. Natürlich passierte nichts dergleichen, diese Dinge können sich hier nur noch in der Phantasie abspielen. Wenigstens die besondere Aura ist diesem Ort erhalten geblieben.
Mein Quartier liegt außerhalb, fast 2 km zog sich die asphaltierte Zufahrt, bis ich vor dem betagten Bauernhaus stand, das sich hinter mächtigen Laubbäumen versteckt. Vermutlich hat es hier vor 50 Jahren nicht anders ausgesehen. Ich wurde bereits erwartet, schließlich hatte Madame Yvette mich angekündigt. 87 Jahre ist der Hausherr alt, Paul Denamps heißt er. Durch einen muffigen Flur führte mich Paul in ein Zimmer mit 5 Betten. Ein anderer Pilger hat ebenfalls den Weg hierher gefunden. Werner kommt aus Mannheim, ist 60 Jahre alt, frisch in Rente und mit dem Fahrrad unterwegs. Dank seiner Anwesenheit kann ich mal wieder einen Abend deutsch sprechen. Werner ist ebenfalls in Köln gestartet, hat aber einen Teil der Strecke mit dem Zug zurückgelegt. Seit Beginn seiner Pilgerfahrt kämpft er fast ausschließlich mit schlechtem Wetter, deshalb ist er wesentlich langsamer vorangekommen, als er sich das ursprünglich ausgerechnet hatte. Nee, Radpilgern wäre nichts für mich, darin fühle ich mich mal wieder bestärkt. Unser weiteres Gespräch verlief eher oberflächlich, wir haben wohl nicht die gleiche Wellenlänge.
Zum Abendessen wurden wir vom Hausherrn persönlich (!!) bekocht. Er spricht sogar ein paar Brocken deutsch. Die hat er sich seit über 60 Jahren bewahrt, nachdem er 1942 aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Er war erst in Ulm und später im heute polnischen Posen. Es ist kein Groll aus seinen Worten zu hören, er fühlte sich immer gut behandelt. Schlecht in Erinnerung hat er aus seiner Zeit in Posen nur, dass es ausschließlich Kartoffeln zu essen gab. Er konnte sie nach einer Weile nicht mehr sehen, aber es gab nichts anderes, er war halt auf einem Bauernhof. In Ulm fand er es angenehmer, dort musste er bei Magirus arbeiten. Spannend, diesem alten Mann zuzuhören. Was werde ich wohl mal zu erzählen haben, wenn ich so alt bin? Hoffentlich nichts von Kriegen!
Wir erfuhren von Paul außerdem, dass das Anwesen früher sein Weingut war, er heute seine Weinberge jedoch allesamt verpachtet hat. Trotzdem lässt er es sich nicht nehmen, weiter tatkräftig anzupacken. Seine Frau lebt auch noch, liegt nur leider derzeit im Krankenhaus. Hoffentlich kann sie bald wieder zu ihm auf den Hof zurückkehren. Paul sagte mir, dass ich für ihn eine Art Jubiläumspilger bin, nämlich der 100., der in seinem Haus übernachtet. Ich fühle mich geehrt! Monsieur Denamps wird mich aber wohl schneller vergessen haben als ich ihn. Irgendwie verkörpert dieser alte Herr in seinem noch älteren Haus ein lebendes Stück Geschichte. Ich bin wirklich froh, hier sein zu dürfen. Nach ein paar gemeinsamen Gläsern vom süffigen Hauswein suchten Werner und ich unser Nachtlager auf, in dem sich die Tapete an vielen Stellen bereits von den
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