Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
diesem fremden Menschen, zu dem ich noch gar keinen echten Bezug hatte, über solch persönliche Sachen zu unterhalten. Ich selbst habe noch keiner Person, der ich bisher begegnet bin, derartige Fragen gestellt und werde das auch weiter nicht tun. Jeder wird seinen eigenen Grund haben, warum er geht, und jeder, der darüber reden möchte, wird das sicher tun - aus eigenen Stücken. So werde auch ich es halten, der richtige Zeitpunkt wird sich automatisch ergeben.
Keine Ahnung, ob das albern ist, denn schließlich trage ich ja weder ein großes Geheimnis noch sonst irgendwelche sensationellen Motive mit mir herum. Trotzdem, es ist etwas Persönliches und darüber will man nun einmal nicht mit jedermann sprechen, so einfach ist das.
Immerhin, der Franzose bewirkte, dass ich mich mal wieder selbst mit den Fragen nach dem „Warum“ befasste und dagegen hielt, was der Weg mir bisher „geben“ konnte. Mit meinem alten ungeliebten Job abzuschließen und mir aktiv Gedanken über meine berufliche Zukunft zu machen, habe ich zuhause immer als ersten und gleichzeitig den Hauptgrund genannt. Raus aus dem rast- und ruhelosen Alltag mit all seinen Reizüberflutungen war ein weiterer Punkt, der mich auf den Weg getrieben hat. Weiter wollte ich, wenn ich schon so eine Tour unternehme, wissen, wie ich zu Gott stehe – und er womöglich zu mir. Last but not least war es einfach die Herausforderung, eine Distanz von 2.500 km zu Fuß nur mit einem Rucksack beladen zu überwinden, es einfach nur zu schaffen.
Alles lässt sich natürlich heute noch nicht abschließend beurteilen, aber doch vieles. Der Alltag ist weit weg, ich fühle mich trotz einiger zwischenzeitlichen Tiefs zumeist rundum glücklich, genieße die Zeit sehr intensiv. Es ist eine Form des Glücks, die ich so noch nicht kannte – ganz, ganz tief von innen! Meine alte Arbeit habe ich dabei inzwischen völlig abgehakt, meinen Frieden mit ihr geschlossen. Ich empfinde sogar Dankbarkeit für die Zeit, da sie mich viel gelehrt hat. Und Gott? Ihm bin ich näher gekommen, als ich es bisher war bzw. wahrgenommen habe. Bisher war er etwas fernes, etwas Abstraktes, etwas Ausgelagertes. Ich habe an eine göttliche Existenz geglaubt, mich jedoch nicht weiter mit ihr befasst. Kurz, mir fehlte ein echter, persönlicher Bezug. Jetzt, da ich mich bewusst von dem entfernt habe, was man als das weltliche Leben bezeichnet, meine ich, seine Präsenz, sein Wohlwollen zu spüren. Er ist einfach da. Der Kopf, der Geist, die Gedanken sind freier, und damit ist
die Verbindung zu ihm weniger verstellt. Ich würde es so sagen: Er war immer schon bei mir, ja, in mir, nun bin auch ich näher bei ihm. Dies zu erkennen, reichen meine
vorhandenen einfachen „Denkmuster“ aus, von spirit ueller Tiefe sehe ich mich aber noch ganz weit entfernt, suche auch gar nicht danach. Überhaupt bin ich keiner dieser Suchenden, die allem auf den Grund gehen müssen. Ich sehe mich eher als ein Gegenwartsmensch. Mit der Überzeugung, Gott immer an meiner Seite zu haben, sehe ich mich auf einem guten Weg, den Punkt Herausforderung am Ende meiner Reise mit einem „Erfolgreich bestanden“ versehen zu können. Ich spüre einfach die Kraft in mir, und die gibt mir Sicherheit und Ausgeglichenheit. Das klingt wohl eher simpel als tiefgründig, reicht mir aber völlig aus.
Fehlt nur noch die Antwort auf die Frage nach meiner zukünftigen beruflichen Ausrichtung. Könnte gut sein, dass der Weg mir diese Frage gar nicht beantworten will. Vielleicht weil sie zu banal ist, nicht hierher gehört. Ich werde mich jedenfalls nicht krampfhaft bemühen, eine Antwort zu finden. Allein schon deshalb nicht, weil ich meine Gedanken nicht auf diese Frage fokussieren werde. Wäre mir viel zu schade, mich damit zu blockieren. Nein, ich lasse weiter einfach geschehen, was mir in den Sinn kommt, sonst nichts. Ich werde kein Thema mehr vorgeben. Und selbst wenn mich von nun an eine gedankliche Leere bis Santiago begleiten sollte, dann ist das eben so. Es kommt wie es kommt... .
Ich habe gelernt, Vertrauen zu haben. In mich, in das „Schicksal“, in Gott. Was passiert, soll passieren, ist somit auch richtig. Ich habe Vertrauen, Zeichen zu erkennen, die richtigen Schlüsse zu ziehen und daraus die erforderlichen Schritte abzuleiten. Es geht um viel mehr als nur den nächsten Job. Es geht um eine komplette Richtungsentscheidung. Die werde ich womöglich erst treffen, wenn ich längst wieder zuhause bin.
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