Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Vielleicht nach einem halben oder erst einem ganzen Jahr, vielleicht auch noch viel später, ich weiß es heute nicht, und es stört mich nicht! Ich kann, will und werde nichts erzwingen, alles wird sich ergeben. Genauso wie sich auf dem Camino die Dinge immer wieder ergeben. Dieses Gesamtvertrauen reicht mir als Sicherheit aus, das alles einen positiven, zumindest aber gottgewollten Verlauf nimmt. Ich fühle mich frei, sehr frei – ein wunderbares Gefühl!
Im Gegensatz zu mir sind die Südfranzosen inzwischen sehr verärgert über das Wetter – anders als in Deutschland war hier der April schon zu kühl und regnerisch. Auch heute dominierten kräftige Schauer und Nieselregen. Nach rund 10 km gemeinsam zurückgelegter Strecke verabschiedete ich mich in Roquebrune von dem Franzosen, der hier auf seine Freunde warten wollte. Ich ging noch weiter bis La Réole, wo ich vor der Kirche überraschend auf Werner traf. Ich hätte vermutet, dass er mit dem Rad schon weiter voraus war, aber der Regen ließ ihn länger pausieren als er sich das vorgestellt hatte. War aber zum Radfahren auch ein Mistwetter. Zu Fuß und mit Poncho ist es da, glaube ich, wesentlich angenehmer. Der Altstadtbummel durch La Réole musste leider ausfallen, schade zwar, aber ich habe ja nun schon so viele schöne Altstädtchen gesehen, dass ich das verschmerzen konnte. Die eigentlichen Sehenswürdigkeiten boten Schutz vor Regen. So die Kirche aus dem 12. Jahrhundert mit einmal mehr beeindruckenden Fensterbemalungen und einer Reihe kostbarer Kunstschätze. Direkt daneben befindet sich das ehemalige Benediktinerkloster, in dem schöne Kreuzgänge und aufwändig gestaltete Treppenhäuser mit phantastischen Wand- und Deckenmalereien die Vergangenheit aufleben lassen.
Da der Regen einfach nicht aufhören wollte, wartete ich nicht länger und marschierte nach dem Sightseeing-Programm weiter. Auch Werner hatte aufgehört, an eine Wetterbesserung zu glauben und setzte seine Tour auf dem Drahtesel widerwillig fort. Über die Garonne, die durch den Regen eine braune, dreckige Brühe war, verließ ich La Réole. Die Landschaft änderte sich beinahe schlagartig. Es wurde wieder flacher, blieb aber grün, die Weinberge verschwanden fast vollständig von der Bildfläche, dafür passierte ich erstmals eine riesengroße Nussplantage. Die Besiedlung schien nicht mehr ganz so dünn. In kurzen Abständen durchquerte ich ein paar Ortschaften von jedoch nur geringer Größe. Und, oh Wunder, auch das Wetter änderte sich nach weniger als einer halben Stunde. Strahlender Sonnenschein und kurze kräftige Regenschauer bildeten ein stetiges Wechselspiel. Ich ärgerte mich nicht über den Regen, freute mich vielmehr über die intensiven Farben, die aus dem Kontrast der Sonne und den dunklen Wolken entstanden. Daran änderte sich bis Auros nichts. Auros hatte ich mir als Tagesziel ausgeguckt, musste allerdings schnell feststellen, dass die einzige im Reiseführer beschriebene Unterkunft (mal wieder) nicht mehr existiert.
Tolle Wurst, dachte ich. Bis Bazas, dem nächsten Ort, waren es immerhin 13 km. Lust, diese Distanz noch zu gehen, hatte ich keine, aber wohl keine andere Wahl. 2 Frauen nahmen mir unabhängig voneinander die Hoffnung, auf dem Weg dorthin noch ein Quartier zu finden. Der Hunger trieb mich zunächst in den örtlichen Lebensmittelmarkt. Die Inhaberin outete mich (was für eine Überraschung) sofort als Pilger und wechselte ein paar Worte mit mir. Ich stellte mich dumm, fragte auch sie nach einer nahe gelegenen Unterkunft – und siehe da, sie kannte eine Dame, die privat gerne Pilger bei sich aufnimmt. Da der Ort einige Kilometer abseits des Weges
liegt und auf keiner meiner Karten Erwähnung findet, bot mir die Ladenbesitzerin an,
mich mit dem Auto dorthin zu fahren. Eigentlich wollte ich mich ja in kein Auto mehr
setzen, aber dieses Angebot konnte ich nicht ausschlagen. Brauchte ich auch nicht,
schließlich tat ich es nicht, um den Weg abzukürzen, ein schlechtes Gewissen wäre
also völlig unangebracht gewesen.
Unsere Fahrt endete vor einem echten Traumsch loss, ich mochte erst gar nicht glauben, dass dies mein Quartier für heute Nacht sein soll. Es ist aber so, in diesem über 600 Jahre alten Märchenschloss, so richtig schön bilderbuchmäßig mit Türmchen, darf ich bleiben. Die Lage ist einzigartig. Das Schloss steht auf dem höchsten Hügel weit und breit und offenbart eine grandiose Aussicht. Vor dem Haupttor wacht eine große
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