Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Lecker! Ich konnte mich gar nicht wehren, so wie mein Teller leer war, bekam ich schon ein neues Stück gereicht. Auf meine abwehrende Handbewegung entgegnete mir Madam nur, ich sei Pilger und müsse genug essen, damit ich bei Kräften bleibe. Recht hatte sie ja, ich musste nur an heute Morgen denken. Trotzdem war es mir ein bisschen peinlich, als von dem Apfelkuchen fast nichts mehr übrig war. War jedoch unbegründet, die Freude der Gastgeberin darüber, dass es mir geschmeckt hat, schien aufrichtig und von Herzen kommend.
Nach deutlich über einer Stunde machte ich mich fertig zum Weitermarsch. Die Verabschiedung fiel überschwänglich aus. Die treusorgende Dame drückte mir noch eine Tüte mit 2 Dosen Cola in die Hand, „damit ich mal was anderes trinke als immer nur Wasser“. Danach nahm sie mich fest in den Arm und drückt mir abschließend zwei dicke Schmatzer auf die Wangen. Erst als ich nach 100 Metern aus dem Blickfeld des Hauses verschwand, hörte die Familie auf, mir zu winken. Was für nette Menschen! Welch wunderbare Begegnung!
Schon 15 Minuten später stand ich vor der Pilgerherberge, kam aber nicht hinein, da keiner da war, von dem ich die Schlüssel hätte bekommen können. Ob Melinda noch nicht da sei, fragte ich mich. Nun, ich beschloss, später noch einmal nachzuschauen und inspizierte stattdessen vorher die Stadt auf mögliche Sehenswürdigkeiten. Ich kann es kurz machen, viel zu sehen gab es nicht. Die Stadt ist langweilig, sogar die Hauptkirche ist an Hässlichkeit kaum zu überbieten. Lediglich ein kleiner botanischer Garten am Flussufer der Miduoze ist ganz ansehnlich gestaltet. Mehr ist nicht. Ich begab mich also schon mal auf die Suche nach einem einladenden Restaurant für heute Abend. Dabei begegnete ich Melinda, die schon geduscht und im Freizeitdress unterwegs war. Sie wunderte sich, dass ich noch in voller Montur rumlief. Ich erzählte ihr von meiner schönen Pause und der verschlossenen Herberge. Sie klärte mich auf, wo ich die Schlüssel sofort bekommen konnte. In meinem Reiseführer steht was ganz anderes… . Tja, und siehe da, an der von Melinda genannten Adresse bekam ich den Herbergsschlüssel sofort ausgehändigt. Wie gut, dass sie mir über den Weg gelaufen ist.
Im Gegensatz zu gestern ist die Herberge riesig und mit einer kleinen Kochzeile geradezu komfortabel ausgestattet. Wieder sind Melinda und ich die einzigen Gäste hier. Noch am frühen Abend donnerten in unregelmäßigen Abständen ein paar Düsenjets über die Stadt.
Zum Abendessen fanden Melinda und ich ein gemütliches italienisches Restaurant und knüpften sofort an unser gestriges Gespräch an. Mit ihr kann man sich wunderbar auch über sehr persönliche Dinge unterhalten. Es tut mir etwas leid, dass sich unsere Wege morgen trennen werden. Melinda ist eine überaus angenehme Person, mit ihr würde ich gerne noch den einen oder anderen Abend verbringen. Sie hat heute ihre Rückfahrkarte nach Belgien gelöst und wird sich bis Orthez noch 3 Tage Zeit nehmen. Bei normalem Verlauf werde ich selbst wohl schon in 2 Tagen dort sein. Obwohl Melinda sich schon sehr auf einen 2-wöchigen Norwegen-Urlaub freut, den sie bereits am kommenden Wochenende antritt, würde sie jetzt noch viel lieber auf dem Camino bleiben. Es fällt ihr immer unheimlich schwer, aufzuhören. Auf dem Weg fühlt sie sich zuhause.
Wieder hat sie sich etwas früher in ihr Schlafquartier verabschiedet als ich. Ich habe unterdessen mal wieder ein Lebenszeichen in Richtung Heimat abgegeben. Wiebke geht es nach einem kleinen Tief zum Glück besser. Sie hat heute überraschenden Besuch von Friedbert bekommen, der ihr eine Foto-CD von unserer Begegnung in Greux/Domrémy gebracht hat. Toll, er hat Wort gehalten. Wenn ich zurück bin, werden wir uns sicher mal zu einem ausführlicheren Erfahrungsaustausch treffen. Leider musste ich erfahren, dass Peter schon bald nach unserem Treffen seine Pilgerreise abgebrochen hat. Warum, konnte Wiebke mir nicht sagen. Es macht mich aber etwas traurig, da ich gehofft habe, ihn in Santiago wiederzusehen, vielleicht ein paar Tage nach meiner eigenen Ankunft. Aber was heißt hier meine eigene Ankunft, erst mal muss ich es selbst schaffen! Immer schön den Ball flach halten! Es sind schließlich noch fast 1.000 km, die es zu bewältigen gilt. Jeder Tag will gegangen werden und ich sollte jedem von ihnen wie bisher mit dem nötigen Respekt begegnen. Andererseits ist es nicht verboten, optimistisch zu
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