Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Zeichen, welches den Jakobsweg markiert. Was kam, waren ein paar Weggabelungen, die nicht beschildert waren. Egal, auf welchem Weg ich nun ging, es gab keinerlei Hinweise mehr. So probierte ich ein halbes Dutzend Möglichkeiten aus, aber nix war’s. Die Tatsache, dass ich mich inmitten eines riesigen Waldes befand, ich nicht wirklich wusste, wo ich war und wo ich rauskommen würde, ließ mich vorsichtig sein. Ich ging immer nur soweit, dass ich zu meinem Ausgangsort zurückfand. Bei den vielen Abzweigungen musste ich wirklich aufpassen. Ich hatte keine Lust, mich zu verfransen. Hier war ich mir nicht sicher, ob ich so ohne weiteres herausgefunden hätte, zumal der späte Nachmittag langsam voranschritt. Letzten Endes ging ich abermals zurück dorthin, wo ich das letzte Zeichen gesehen hatte. Es zeigte eindeutig in die Richtung, aus der ich gerade kam. Ich ignorierte es nun, nahm einen anderen Weg und hoffte darauf, dort irgendeinen verwertbaren Hinweis zu finden. Wenig später kreuzte ich eine Teerstraße, der ich in die Richtung folgte, die mir sinnvoll erschien. Nach 10 Minuten kam ein Auto, was auf mein Handzeichen hin sofort anhielt. Kurze Nachfrage, dann Aufatmen, ich hatte alles richtig gemacht! War genau auf dem Weg zurück zum Camino, wie mir die Fahrerin sehr zu meiner Freude mitteilte. Als hätte es einer Bestätigung bedurft, war nur 500 m weiter das nächste Muschelsymbol gut sichtbar an einem Baum angebracht und lenkte mich zurück auf einen Waldpfad. Mir kam der starke Verdacht, dass sich an der Wegspinne jemand einen Streich erlaubt und das Schild bewusst verdreht hat. Nicht sehr nett!
Bis Roquefort taten sich mir keine Hindernisse mehr auf. Erst kurz vor dem Ort verließ ich den Wald. Es war ein gutes Gefühl, das Ortsschild zu sehen. Roquefort präsentierte sich mir als recht trostloses Fleckchen, hat übrigens nichts mit dem bekannten Käse zu tun. Nach kurzem Suchen fand ich die Pilgerherberge, die noch verschlossen war. In der Bar, wo man laut Reiseführer den Schlüssel bekommen kann, sagte man mir, dass diesen schon ein anderer Pilger vor mir abgeholt hat. Ist vielleicht gerade einkaufen, folgerte ich. Auf jeden Fall stand fest, ich bin nicht allein. Ich wartete auf einer Parkbank vor der Tür und stellte beim Betrachten der Umgebung fest, dass die Pilgerherberge so mit in der besten Lage von Roquefort liegt, nämlich genau zwischen der altehrwürdigen Kirche und einer alten Steinbrücke, die ein kleines Flüsschen überspannt. Von dem gepflasterten Vorplatz der Herberge geht es über ein paar Treppenstufen direkt an das grasbewachsene Ufer des träge fließenden Gewässers. Nach einer halben Stunde kam eine Dame um die 60 und öffnete die Tür zur Herberge. Es war Melinda, eine Pilgerin aus Belgien, die in Vézelay gestartet ist und in ein paar Tagen von Orthez zurück nach Hause fährt. Wir waren uns sofort sympathisch. Zunächst war in der äußerst beengten Herberge jedoch Körperpflege angesagt. 4 Betten stehen in dem Raum, wir sind froh, dass wir nur zu zweit sind. Noch zwei mehr und man könnte sich kaum bewegen, aber so ist’s okay!
Wir beschlossen unser Abendessen im Supermarkt selbst zusammenzustellen und kauften dazu eine 1,5 Liter-Flasche Rotwein. Tisch und Stühle räumten wir nach draußen und schon saßen wir am exklusivsten Platz des Ortes für ein nettes Dinner, einfach aber gut! Nach dem Essen erzählte mir Melinda sehr offen über sich und ihre ganz persönliche Pilgergeschichte. Sie ist Pilgerin aus Leidenschaft, war schon 2004 in Santiago. Es ist eine sehr emotionale Geschichte. Eigentlich wollte sie den Weg damals zusammen mit ihrem Mann gehen, der verstarb jedoch kurz vorher. Sie ist trotzdem gegangen – auch oder vor allem für ihren Mann. Der ganze Weg war damals eine wilde Achterbahnfahrt der Gefühle für sie, trotzdem war es das Richtige, den Tod ihres Mannes so zu verarbeiten. Die Ankunft in Santiago war brutal. Einerseits unendlicher Schmerz und Trauer, andererseits ein in diesem Gefühlswirrwarr eigenartiges Glücksgefühl. Seitdem pilgert sie immer wieder auf anderen Wegen.
Den Rest des Abends verbrachten wir damit, uns jede Menge Dinge aus unserem Leben und von unserer aktuellen Pilgerreise zu erzählen. Dabei stellten wir fest, dass wir mindestens 5 gemeinsame Pilgerbekannte haben, denen wir unabhängig voneinander schon begegnet sind. Gestern hat Melinda zum Beispiel mit Werner einen Kaffee getrunken. Werner hat übrigens letzte Nacht hier
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