Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Nichtgläubig bezeichnet, schreibe ich ihm, so wie ich ihn kennen gelernt habe, eine Menge christlicher Eigenschaften zu. Gut, er betet nicht, aber er ist freundlich, respektvoll, hilfsbereit, tolerant und verlässlich, soweit ich das beurteilen kann, auch aus Gesprächen mit anderen Pilgern, die ihm begegnet sind. Für mich ist das christlicher, als in die Kirche zu gehen, dort einen auf fromm zu machen, um sich selbst ein Alibi zu geben, aber im Alltag durch sein Verhalten gleich reihenweise christliche Ideale zu verletzen. Ich bin ganz sicher, Gott ist auch bei denen, die sich nicht oder noch nicht zu ihm bekennen. Wahrscheinlich ist diese Ansicht theologisch gesehen nicht gerade korrekt, entspricht dafür meinem zugegebenermaßen recht einfach konstruiertem Verständnis. Vielleicht werde ich eines Tages diesbezüglich noch eines Besseren belehrt. Ich habe keine Wahrheit für mich gepachtet und darf ja gerade hautnah erfahren, dass ich mich in einem ständigen Lernprozess befinde. Viele Dinge nehme ich gerade zum ersten Mal wahr, bin dabei aber zuversichtlich, dass der Blick hierauf mit der Zeit noch deutlich klarer wird. Irgendwann bin ich dann sicher auch in der Lage, gewisse Zusammenhänge vollends zu begreifen. Der Camino bildet in gewisser Weise da nur einen Anfang.
Es waren noch viel mehr Dinge, die mich an dem heutigen Vormittag beschäftigten. Unmöglich und überflüssig, die alle hier festzuhalten, zumal sie ja in meinen Aufzeichnungen zumindest teilweise bereits Erwähnung gefunden haben. Ich merkte zum wiederholten Male, wie weit ich von der „normalen“ Welt gerade weg bin – und wie wenig ich sie vermisse (einige wichtige Personen natürlich ausgenommen)! Der Camino ist sicher nicht die einzige Möglichkeit zum Abschalten, aber bestimmt doch eine der besten! Das Fernsehprogramm gestern hat mir gezeigt, mit was für einem geistigen Dünnschiss man sich im Alltag teilweise berieseln lässt. Man registriert gar nicht, wie sehr äußere Einflüsse einen vereinnahmen. Wie auch, man kann ihnen ja praktisch nicht entfliehen. Egal, wo man hingeht, überall ist man äußerer Einflussnahme ausgesetzt. Ich bin sicher, auch das hat damit zu tun, dass das Leben häufig so wenig entspannt und für manche Menschen dazu höchst unerfreulich abläuft. Würden sie es doch nur selbst erkennen... .
Bei zunehmend auflockernder Bewölkung lachte mir die Sonne entgegen, als ich am Mittag Sault-de-Navailles erreiche. Am Ufer eines kleinen Flusses vor dem Ortsausgang fand ich unter hohen Bäumen wieder einmal ein wunderbar idyllisches Fleckchen für eine ausgedehnte Pause. Die alte Steinbrücke bildete an dieser Stelle eine passende Kulisse. Meine Zwischenbilanz beendete ich hier mehr oder weniger vollständig und lauschte entspannt dem Rauschen des kleinen Wasserfalls. Ich musste schmunzeln, denn auch an Yvonne Catterfeld hatte ich gerade während meines kleinen Rückblicks wieder gedacht. Zum 2. Mal. Ich glaube, ein einziges Mal habe ich sie im TV gesehen, höre ansonsten weder ihre Musik noch weiß ich irgendetwas von ihr, außer eben, dass sie mehr oder weniger prominent ist. Komisch, durch was werden derartige Impulse gesteuert, die einen an eine wildfremde Person denken lassen und deren Bild klar und deutlich vor einem aufbauen? Ich hatte und habe keine Idee, aber zumindest war es ein schönes Bild, was ich da vor mir sah. Vielleicht begegne ich ihr ja irgendwann einmal. Who knows? Egal, eine nette Randnotiz ist’s allemal.
Jede Pause hat ein Ende, so auch diese. Es waren zwar nur noch 12 km, ich wollte Orthez aber nicht zu spät erreichen. Die Stadt wurde mir als sehenswert beschrieben. Mal schauen. Unter lautem Hundegebell passierte ich am Ortsende die letzten Grundstücke. Die Hunde in Frankreich sind ohnehin ein Kapitel für sich. Kaum ein Haus, vor dem nicht ein aggressiver Hund die Zähne fletscht, wenn man sich ihm nähert. Manche spielen schon verrückt, wenn man noch 50 m entfernt ist. Große und kleine Hunde, selbst so sanfte Rassen wie Golden Retriever und Berner Sennen begegnen einem häufig äußerst bösartig. Die Franzosen scheinen eine völlig andere Einstellung zum Hund zu haben als die Deutschen. Oder haben sie nur so viel Angst um ihr Hab und Gut? Zum Glück ist fast immer ein Zaun zwischen Hund und mir. Von dem einen Mal, wo es nicht so war, habe ich jetzt noch eine Narbe an der Wade. Gut, dass das ein kleiner Hund mit einem nicht so großen Maul war... . Mal sehen, was es mit den
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