Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
und so schlossen sie sich mir an. Wir ließen Roncesvalles schnell hinter uns und betraten kurz hinter dem Ortsausgang einen schönen Laubwald. Ein Straßenschild zeigte uns die Entfernung bis Santiago: 790 km.
Anna ist eine echte Frohnatur, war total aufgeregt und gleichzeitig froh, dass sie nicht alleine losgehen musste. Eigentlich wollte sie morgen erst los, hatte sich durch die Begegnung mit Torsten aber spontan umentschieden. Sie freut sich einerseits wie ein Kind auf das Wandern, ist aber auch unsicher, wie sie das tägliche Gehen verträgt. Etwas Vergleichbares hat sie noch nie gemacht. Sie redete praktisch ohne Unterlass. Torsten war hingegen völlig relaxt, er hat in der Vergangenheit schon vergleichbare Abenteuer (u.a. mit dem Rad von München nach Rom) unternommen. Er genießt die Natur in vollen Zügen, kann dies gar nicht oft genug erwähnen. Die beiden hatten sich viel zu erzählen, ich ließ sie, bin das viele Reden ja gar nicht mehr gewöhnt. Von den Pyrenäen war fast nichts mehr zu erkennen, es sei denn man schaute zurück, höhö. Wir bewegten uns auf einer Hochebene, flankiert von sanften Bergen wie in einer lieblichen Mittelgebirgslandschaft. Laubwälder und idyllisches Weideland wechselten sich ab, es ging beinahe unmerklich leicht bergab. Mit dem Wissen in Spanien zu sein, bildete ich mir ein, dies auch zu spüren. Blödsinn eigentlich mit einem Deutschen und einer Norwegerin an der Seite. Spätestens im ersten kleinen Dorf jedoch war deutlich sichtbar, dass ich mich in einem anderen Land befinde. Die Bauart hat sich grundlegend geändert, große torbogenähnliche Eingänge verleihen den gepflegten Häusern älteren Baujahrs einen für diese Region typischen Charakter. Man sieht, dass die Landwirtschaft hier eine große Rolle spielt. Einheimischen begegneten wir in der Nachmittagshitze praktisch nicht. Willkommen im Land der Siestas!
Ohne nach einer Unterkunft zu suchen, durchquerten wir den Ort namens Auritz und erreichten eine knappe Stunde später Aurizberri, ebenfalls sehr hübsch. Wir beschlossen, hier nach einer Pension Ausschau zu halten, der nächste Ort wäre 5 km entfernt, das musste heute nicht mehr sein. Mit unserer ersten Anfrage wurden wir direkt fündig, eine freundliche Dame empfing uns in ihrem liebevoll eingerichteten Gästehaus. Ein echter Glücksgriff, das wussten wir erst Recht, als wir die Preise genannt bekamen. Torsten und ich teilen uns das Doppelzimmer, Anna erfreut sich an einem Einzelzimmer. Von anderen Pilgern ist hier weit und breit nichts zu sehen. Der Plan, dem Auflauf von Roncesvalles zu entgehen, ist voll aufgegangen.
Frisch geduscht schlenderten wir später entspannt durch den Ort und nahmen anschließend Platz vor der einzigen Bar von Aurizberri. Torsten schäkerte schon eine ganze Weile auffällig mit Anna. Ist da etwa jemand zum Flirten auf dem Camino? Sei‘s ihm gegönnt! Auf jeden Fall sind sowohl Anna als auch Torsten sehr nett, Annas Redseligkeit ist unglaublich. Sie gefällt mir, hat eine herrlich unverkrampfte Art und steckt voller Träume. Ich glaube, mit dieser Art hat sie’s auch Torsten angetan. Er macht auf mich einen schlauen, weltgewandten Eindruck, spricht immerhin 4 Sprachen. Im Gegensatz zu mir schätze ich ihn sehr zielstrebig ein. Macht aber gar nichts, hier auf dem Camino verstehen wir uns alle prima, das zählt! Der Rest des Tages verging wie im Flug, später füllte sich der Platz und das Gasthaus, wo wir auch unser Essen zu uns nahmen. Wir bekamen gleich am ersten Abend spanische Lebensart geboten. Es herrschte eine angenehme Atmosphäre, gemütlich und gelöst, trotzdem sehr lebhaft, südländisch eben. Hier fühlte ich mich auf Anhieb wohl! Zurück auf dem Zimmer passierte es, dass Torsten und ich Englisch miteinander sprachen, obwohl Anna gar nicht mehr dabei war. Die Macht der Gewohnheit! Wir mussten laut über uns lachen. Wir philosophierten noch ein wenig über den Camino, bevor wir uns auf die Waagerechte vorbereiteten.
Torsten strahlt eine Gelassenheit aus, als wäre er schon wesentlich länger als diesen einen Tag unterwegs. Während ich nun meine Notizen zu Papier bringe, schläft Torsten bereits und hat dabei die Kettensäge angeworfen, aber ohne Gnade! Der Kerl schnarcht, dass sich die Balken biegen. Hoffentlich kann ich dabei überhaupt einschlafen.
Wann ist ein Tag eigentlich ein perfekter Tag? Ich glaube, heute war es zumindest sehr nah dran. Vom Naturerlebnis war’s jedenfalls berauschend. Es
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