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Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)

Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)

Titel: Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meik Eichert
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ist, als würde mich der Camino derzeit tragen oder ich auf einer Wolke über ihm schweben. Es ist zum Heulen schön!!!
     
    Ich überlege, ob ich Anna und Torsten morgen allein gehen lasse... .
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

Tag 59, Aurizberri - Pamplona 36 km
     
    Torstens Schnarchen hat mich nicht beim Schlafen beeinträchtigt, zum Glück! Frühstücken ist scheinbar auch nicht Sache der Spanier. Ein bisschen Brot und Kekse bekamen wir zum Kaffee gereicht, das war‘s. Ich ließ Anna und Torsten voraus gehen. Sie waren so gesprächig, ich bevorzuge es einfach (noch) etwas ruhiger. Wie ich finde, lenkt schon eine normale Unterhaltung ungeheuer ab, und für mich gibt es im Moment einfach nichts schöneres, als die Natur mit allen Sinnen zu erleben. Es wurde wieder ein traumhafter Sommertag, die Temperaturen waren schon am Morgen deutlich höher als gestern. Bereits um 7:30 Uhr war ich auf dem Weg und verließ nach ein paar Schritten Aurizberri. Das liebliche Pyrenäenvorland gab mir sofort das richtige Pilgerfeeling. Ich kann gerade gar nicht genug schwärmen, um wiederzugeben, wie wohl ich mich fühle. Und doch will ich nicht jetzt schon alle Superlative verbrauchen. Wer weiß, was noch auf mich wartet. Welche Worte soll ich gebrauchen, wenn mein derzeitiges Empfinden gar weiter gesteigert wird? Geht das überhaupt? Ich werde es erleben und genieße einfach weiter jeden Augenblick. Ganz sicher wird es nicht bis Santiago auf diesem Niveau weitergehen können.
     
    Wie gut unsere gestrige Entscheidung war, bis Aurizberri zu gehen, zeigte sich heute auch daran, wie leer die Pilgerpfade waren. Ich begegnete kaum einer Menschenseele. Der große Pilgerstrom dürfte ein paar Kilometer hinter uns her gezogen sein. Es ging ein wenig auf und ab, körperlich keine große Herausforderung. Zwischenzeitlich befand ich mich in einem Wald, der so dicht war, dass Bäume und Buschwerk einen fast lichtundurchlässigen Tunnel bildeten. Nach rund 10 km lief ich zu Anna und Torsten auf, die sich gerade von einem etwas steileren Anstieg erholten. Anna war immer noch total euphorisch und strotzte vor Energie. Ich dachte laut darüber nach, bis Pamplona zu gehen. Torsten und Anna signalisierten, sich anschließen zu wollen. Speziell für Anna ein ehrgeiziges Ziel am ersten vollständigen Pilgertag, fand auch Torsten. Ich fürchtete zu ehrgeizig, schließlich lagen bis Pamplona noch rund 26 km vor uns. Dass sie da nicht mal ihrem hohen Anfangstempo Tribut zollt, ging es mir durch den Kopf. Aber sie wird es merken, ihre eigene Erfahrung machen. Sollte sie nicht mehr können, gibt es auf dem Weg genügend Stationen, wo sie bleiben kann, relativierte ich meine Bedenken. Bei Torsten sah ich weniger Schwierigkeiten, er weiß sich gut einzuschätzen, das merkte ich sofort. Bei seiner Abgeklärtheit meint man nicht, einen Pilger-Neuling vor sich zu haben. Es scheint als hätte er vor dem Abflug von zuhause den Sinn des Pilgerns bereits für sich verinnerlicht, obwohl er ganz abrupt aus seinem Arbeitsalltag „gerissen“ wurde. Bis zum letzten Tag hatte er noch Überstunden wie blöde gemacht, wie er mir verriet. War nur gespannt, ob Torsten bei Anna bleiben würde, wenn sie vor Pamplona würde abbrechen müssen… .
     
    Zunächst setzten wir den Weg zusammen fort. Unsere norwegische Frohnatur legte dabei ein Tempo vor, das selbst mir fast zu schnell war. Ich ließ mich daher ein wenig zurückfallen. Auch die Beiden genossen nun häufiger schweigend den Weg. Wir gingen mal um rund 100 Meter auseinandergezogen, dann wieder direkt hintereinander her. Wenn wir uns unterhielten, dann meist über die Schönheit und Einzigartigkeit des Camino. So gar nicht wollte dazu passen, was Anna uns erzählte. Und zwar, dass die Suizidrate statistisch gesehen in nur wenigen anderen Ländern der Erde so hoch ist wie in Norwegen. Wenn man Anna erlebt, mag man das gar nicht glauben. Sie lieferte uns jedoch gleich einen plausiblen Grund, nämlich die langen norwegischen Winter. Die Perioden mit tagelanger Dunkelheit treiben viele Menschen in die Depression und lassen sie als letzten Ausweg den Freitod wählen. Klingt irgendwie einleuchtend, heißt für mich aber auch, dass es in den anderen skandinavischen Ländern und den Baltikum-Staaten ähnlich aussehen müsste, da dort die Nächte ebenso lang sind. Wenn ich dran denke, werde ich mich zuhause mal informieren.
     
    Wir wechselten das Thema schnell wieder, von depressiver Stimmung waren und sind wir weit

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