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Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)

Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)

Titel: Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meik Eichert
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auf den vor mir liegenden Tag. Wäre ich gestern in Saint-Jean-Pied-de-Port geblieben, hätte ich heute schon sehr früh aufbrechen müssen, um dieses schöne Naturschauspiel erleben zu dürfen. So ließ ich mir wieder einmal viel Zeit beim Frühstück. Es herrschte rege Betriebsamkeit im ganzen Quartier. Man sprach sich Mut zu. Einer nach dem anderen verließ teils entschlossenen, teils zaghaften Schrittes die Herberge. Ich gehörte (natürlich) wieder einmal zu den Letzten. Die Bediensteten des Hauses „verabschiedeten“ uns grußlos und mit gleichgültigen Blicken. Fehlende Freundlichkeit kann man sich hier leisten. Die Gäste kommen zu dieser Jahreszeit ganz von allein.
     
    Bei kühlen Temperaturen ging es sofort hinein in eine besonders steile Passage. Ich fühlte mich noch etwas steif und schwerfällig. „Wird es doch härter als gedacht?“, fragte ich mich kurz. „Ganz locker bleiben, erst mal den richtigen Tritt finden, in Wallung kommen! Ein kalter Motor braucht ja auch seine Zeit, bis er auf Betriebstemperatur ist.“, entgegnete ich mir mit dem in den vergangenen 2 Monaten erworbenen Selbstverständnis. Soweit meine Augen blicken konnten, zog sich ein langer Lindwurm an Pilgern den Berg hinauf. Pilgern als Massenbewegung!
     
    In einem etwas flacheren Abschnitt lockerten sich meine Glieder. Von nun an wurde mein Schritt gleichmäßiger. Langsam, aber doch schneller als die meisten anderen, schleppte ich mich die Serpentinen hinauf. Auch die steileren Abschnitte zwischendurch brachten mich nicht mehr aus dem Rhythmus. Ich litt dafür ein bisschen mit den Pilgern, die sich schon an dieser Stelle quälen mussten, aber auch sie werden wohl den Gipfel erreicht haben. Reihenweise ließ ich sie im Verlauf des Anstiegs hinter mir, bis zum Gipfel waren es vermutlich über 50, ich habe mir nicht die Mühe gemacht, sie zu zählen. Ganz offensichtlich war jedoch, dass sich mein „Training“ ausgezahlt hat. Es war nicht so, dass ich mich nicht anstrengen musste, aber es lief einfach. Je höher ich kam, desto spektakulärer wurden die Ausblicke. Die Natur wurde dabei immer ursprünglicher. Zahlreiche der steil abfallenden Weiden wurden von langhaarigen Hochlandschafen bevölkert. Die am Wegesrand grasenden Kühe ließen sich von uns vorbei ziehenden Pilgern nicht stören. Wir sind ihnen längst vertraut. Selbst Wildpferde bekamen wir zu sehen. Für eines von ihnen gab es freilich keine Hilfe mehr. Direkt neben dem Pfad lag ein Skelett, nur an den Beinen hing noch etwas Haut und Fell. Wahrscheinlich haben sich am Fleisch des Pferdes schon die Geier gelabt. Der Kreislauf der Natur eben... .
     
    Mit ein paar Pausen zwischendurch arbeitete ich mich mühsam aber stetig voran. Trotz aller Strapazen machte es mir Spaß. Ich wage zu bezweifeln, dass es allen so ging. Manche mussten sich doch arg schinden, rangen völlig außer Atem nach Luft. Bei alledem kamen wir dem Gipfel immer näher. Am sagenumwobenen Rolandsbrunnen wurden die Wasservorräte aufgefüllt und anschließend hieß es kurz innehalten. Ein schlichter Grenzstein kennzeichnete den Übergang von Frankreich nach Spanien. Von dort an bin ich nun erst einmal in der autonomen Region Navarra unterwegs und erreichte schon kurz darauf den Gipfel des Col de Lapoeder. Ich fühlte mich phantastisch, die grandiose Aussicht entschädigte für alles, was vorher etwas wehtat! Mehr als eine Stunde bewegte ich mich von diesem Ort nicht mehr weg, ließ alle Empfindungen intensiv auf mich wirken. Nach und nach erreichten immer mehr Pilger erschöpft, aber auch glücklich den höchsten Punkt des heutigen Tages. Die Wiese dort oben bot genug Platz für alle! Schon bald herrschte Picknickatmosphäre. Jeder hatte das Bedürfnis, sich zu erholen und wieder zu Kräften zu kommen, auch wenn es bis Roncesvalles nur noch abwärts ging. By the way: Was hatten wir alle ein Glück mit dem Wetter. Besser hätte es gar nicht sein können. Noch vorgestern soll es in der Region wolkenverhangen, kühl und regnerisch gewesen sein. Kaum vorstellbar bei heute wolkenlosem Himmel und sommerlichen Temperaturen.
     
    Ich kam mit Torsten aus Augsburg ins Gespräch. Wie für die meisten ist es auch für ihn die erste Tagesetappe. Bereits um 5:15 (!) Uhr ist er heute Morgen aufgebrochen. Es herrschte Lärm in der gerammelt vollen Pilgerherberge, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Wie gut, dass ich mich über den Pilgerbüro-Marschall hinweggesetzt habe! Torsten will den Weg bis Santiago in 4 Wochen

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