Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
schaffen und nach Möglichkeit noch bis Finisterre weitergehen. Er muss danach direkt wieder arbeiten, kann nicht länger Urlaub nehmen. Ein strammes Programm, bei dem er sich keine Schwächen, so wie ich in den ersten Wochen, leisten darf. Aber er wirkt sehr sportlich auf mich, der schafft das!
Für den Abstieg hinunter nach Roncesvalles gibt es zwei Alternativen. Eine kurze, die extrem steil querfeldein führt und nicht ganz ungefährlich ist, sowie eine etwas längere Variante über einen breiten Schotterpfad. Ich wählte die sicherere Route, hatte für die Cross-Variante kein Vertrauen mehr in meine Schuhe. Sie sind inzwischen völlig zerfetzt. Für mich ist es ein kleines Wunder, dass ich sie überhaupt noch tragen kann. Wenigstens zäh sind sie. Aber nun ist Schluss, in Pamplona komme ich nicht umhin, mir ein neues Paar zu kaufen.
Den gemütlichen Gang nach unten machte ich mit einem sympathischen deutschen Paar, das ich von der Herberge in Huntto kannte. Für sie ist Roncesvalles Endstation in diesem Jahr. Sie waren in Frankreich auf der Le-Puy-Route unterwegs und werden den Weg 2008 fortsetzen. Die beiden erzählten mir von einem besonders geltungssüchtigen Zeitgenossen, der sie gestern mit den Erzählungen seiner vielen Abenteuer regelrecht traktiert hat. Ich musste schmunzeln, wusste natürlich sofort, von wem die Rede ist. Will einmal hoffen, dass ich ihn schnell hinter mir lasse. Auf dem Anstieg war er heute mit dem wohlbeleibten Herrn unterwegs.
Schon um 13 Uhr erreichten wir Roncesvalles, wir waren fast die ersten. Ich hatte eine gewisse Erwartungshaltung mit der Ankunft hier verbunden - und war enttäuscht! Völlig schmucklos kommt das Kloster, dominierendes Bauwerk in dem ansonsten winzigen Ort, daher. Es wurde gesägt, gehämmert und geschliffen. Baukräne verstärkten den eher tristen Eindruck. Eine Oase der Ruhe und des Friedens hatte ich erwartet, da lag ich wohl voll daneben. Der erste Gang führte ins Pilgerbüro, wo wir uns den Premierenstempel auf spanischem Boden in den Ausweis drücken ließen. Ich wurde gefragt, ob ich in der Herberge übernachten möchte, antwortete darauf mit einem entschiedenen ‚Nein’. Es folgte kein weiterer Kommentar, schien okay zu sein. Die Dame wünschte mir sogar noch einen ‚Buen Camino’. Der Entschluss, nicht in Roncesvalles zu bleiben, war schon vor meiner Ankunft klar. Auf den Schlafsaal mit über 100 Betten kann ich gut verzichten. Allein bei den Pilgerscharen, die mir begegnet sind, ist davon auszugehen, dass die Herberge knallvoll sein wird. Nach und nach trudelten sie ein. Es war noch so früh, ich war nach dem Abstieg wieder völlig ausgeruht, da konnte ich locker noch ein, zwei Stationen weitergehen. Dort würde es garantiert ruhiger zugehen, war ich sicher, da die meisten Pilger in Roncesvalles bleiben wollten.
Ein bisschen umschauen tat ich mich trotzdem noch. Die Kirche war beinahe überladen mit kunstvollen Arbeiten, dadurch natürlich sehenswert. Irgendwie war’s mir aber zu touristisch, immer wieder zuckte das Blitzlicht einer Kamera durch die „heiligen“ Hallen. Direkt nebenan befindet sich ein Souvenirshop, wo es Pilgerutensilien und den üblichen Kitsch zu überhöhten Preisen gibt. Gern hätte ich den Kreuzgang besichtigt, leider durfte der aber nur gegen eine (zu hohe) Gebühr betreten werden. Ich verzichtete! Ja, eins wurde heute deutlich, der Kommerz hat Einzug gehalten. Einerseits schade, auf der anderen Seite angesichts des jüngsten Pilgerbooms eine logische Konsequenz. Ich hoffe nur, dass es nicht überall so ausgeprägt sein wird wie in Saint-Jean und hier.
Ich hatte genug gesehen. Zusammen mit dem deutschen Paar sicherte ich mir einen sonnigen Platz auf der Café-Terrasse und gönnte mir einen großen Humpen Bier. Sehr zu meiner Freude war der Bierpreis deutlich moderater als in Frankreich. Torsten, der über den steilen Pfad hinabgestiegen war, gesellte sich nebst einer neuen Bekanntschaft zu uns. Sie heißt Anna und kommt aus Norwegen. Sie war gerade erst angereist, um ihren Camino in Roncesvalles zu starten, hat aber nur 2 Wochen Zeit. Sie will einfach schauen, wie weit sie kommt. Der Platz füllte sich zunehmend, bestimmt über 20 Rucksäcke standen in Reih und Glied an der Hauswand. Alle, die in der Herberge übernachten wollten, mussten warten, die Pilgerherberge öffnet grundsätzlich erst um 16 Uhr. Für mich war die Zeit gekommen, weiterzugehen. Torsten und Anna hatten den gleichen Gedanken
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