Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
zurückgezogen. Nur unweit vom schönen Kirchvorplatz fand ich die Pilgerherberge. Sie war bereits sehr voll, bietet mit 72 Betten aber einer Menge Pilgern Platz. Als ich mein Zimmer gezeigt bekam, hätte ich am liebsten kehrt gemacht. Durch einen Schlafsaal, der direkt hinter dem Treppenhaus beginnt und in dem schon kräftig geschnarcht wurde, wurde ich in einen winzigen Raum mit 2 Etagenbetten geführt. Auf dem Boden ist Platz für maximal 2 Rucksäcke, ich bekam das letzte freie Bett zugewiesen. Der Abstand zwischen den beiden Betten ist kaum mehr als eine Schulter breit. Was ein Pferch! Meine Freude, das Quartier erreicht zu haben, hatte sich durch diese Form der Unterbringung schnell relativiert. Nun, auch das gehört wohl zum Camino. Die Nacht werde ich mit 2 älteren Franzosen und einer opulenten spanischen Señora verbringen. Die Luft war am späten Nachmittag schon schlecht, das Fenster viel zu klein, außerdem fehlte Wind, der etwas Frischluft hätte hineinblasen können. Das wird sicher eine lustige Nacht, zusammen mit meinem Rucksack im Bett. Bin mal gespannt, wie das funktioniert, wenn wir 4 morgen gleichzeitig aufbrechen wollen. Mehr als 2 Leute können sich in dem Raum gar nicht zusammen bewegen. Aber eigentlich ist’s ja auch wurscht! Ich sollte aufhören, Probleme zu konstruieren, die noch gar nicht existieren. Eigentlich will ich doch nur hier schlafen, sonst gar nix. Und mit der Grundlage eines schweren Rotweins wird das sicher klappen. Ob der mich auch vor dem Erstickungstod bewahrt, wird sich zeigen müssen. Mal schauen, ob der Sauerstoffgehalt in der Luft ausreicht. Um den Gestank nicht zu riechen, werde ich jedenfalls nicht mehr durch die Nase atmen. Bäh… .
In Rekordzeit war ich geduscht, habe die verschwitzten Klamotten gewaschen und anschließend erst einmal die Flucht ergriffen. Im Rhythmus von wenigen Minuten kamen ständig weitere Pilger, am frühen Abend waren es meist die, die mit dem Rad unterwegs sind. Welch eine Wohltat, als ich mein erstes frisch gezapftes Bier ansetzen durfte. Auf dem kaum bevölkerten Kirchplatz herrschte himmlische Ruhe. Während ich dort eine ganze Weile abhing und zufrieden registrierte, dass es meinem „Problemknöchel“ besser geht, wurde die schwere Holztür der Kirche geöffnet. Ich trat ein und wurde fast „erschlagen“. Ein riesiger Altar, reich verziert mit verschnörkelter Kunst, dazu komplett mit Blattgold überzogen, zog meinen Blick auf sich. Pompös! Schön oder nicht schön? Das war hier die Frage, die jeder für sich beantworten kann. Gewaltig war’s allemal. Mir gefiel der angrenzende Kreuzgang mit seinen fein verzierten Bögen besser. Dort schien auch eine Entenmutter mit ihren 5 Küken ihr Zuhause zu haben. Laut schnatternd bzw. aufgeregt piepsend rannten sie durch den kleinen Garten. Die Anwesenheit von mir und ein paar anderen Pilgern schien ihnen nicht zu behagen. Daher suchten sie Schutz in der dunklen Kirche. Das hätten sie jedoch besser nicht getan! Denn dort waren inzwischen eine ganze Reihe anderer Leute angekommen und das machte das Federvieh noch aufgeregter. Ängstlich und hektisch watschelte es quer durch den hinteren Bereich der Kirche, bis es wieder die Tür hinaus in den Kreuzgang fand und dort in einem kleinen Busch verschwand. Ein kleines Küken hatte in der Aufregung den Anschluss und damit auch die Orientierung verloren. Erst mit vereinten Kräften gelang es, ihm den Weg zurück zum Rest der Familie zu zeigen. Die Entenmama und ihre Kinder werden sicher froh gewesen sein, als die Pforte wieder geschlossen wurde. So ein Stress, und das in der Kirche… .
Nach dieser netten Showeinlage begab ich mich mit ein paar Einkäufen zurück zur Albergue. Dort war es wie in einem Taubenschlag. Von allen Seiten kam lautes Gesabbel, überwiegend italienisch und spanisch, die paar Franzosen waren ruhiger, aus Deutschland schien ich der einzige Vertreter zu sein. Die Spanier und Italiener bildeten jeweils ein eigenes Rudel, diskutierten in der ihnen eigenen Lautstärke und Gestik, nicht eine Millisekunde herrschte Ruhe. Nicht gerade meine Welt. Ich zog es vor, mich gar nicht erst um Anschluss zu bemühen, isolierte mich, so gut es ging. Erst einmal wollte ich mir was zu essen machen. Denkste! Die Küche war auch proppenvoll. Es wurde geschnitten, gewaschen, gekocht und gebraten. Ich sah 2 Italiener in meinem Alter, die sich Nudeln kochen wollten. Da könnte ich meine doch dazutun, dachte ich mir und fragte die beiden.
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