Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
verwundert, ob er gezaubert hat, aber ich freute mich natürlich in erster Linie, ihn zu sehen. Was er mir zu erzählen hatte, war gar nicht so erfreulich. Seine Probleme mit den Füßen waren gestern beinahe schlagartig immer massiver geworden, die ganze Physis war dermaßen im Eimer, dass er sich nur noch mit größter Mühe bis Villafranca Montes de Oca schleppen konnte. Er hatte starke Schmerzen und brauchte medizinische Hilfe. Da es die in dem kleinen Ort nicht gab, hat er direkt den Bus nach Burgos genommen und das Krankenhaus aufgesucht. Dort konnte ihm zum Glück geholfen werden, eine Sehnenentzündung wurde festgestellt. Ganz nebenbei hatte sich Ludger eine Zecke eingefangen, die ihm natürlich gleich entfernt wurde. Der Arzt hat ihm Medikamente und einen Ruhetag verordnet. Heute geht es Ludger schon viel besser und er ist zuversichtlich, morgen wieder zu gehen, wenn auch einen kürzeren Abschnitt.
Ludger bot mir gleich das freie Bett in seinem Hotelzimmer an, aber ich lehnte dankend ab. Meine Entscheidung, Burgos noch heute den Rücken zu kehren, stand. Klar war es kein schlechter Gedanke, sich für den Rest des Tages mit Ludger eine schöne Zeit zu machen, aber es wäre falsch gewesen. Logroño lässt sich nicht wiederholen. Außerdem glaube ich nicht, dass meine weitere Kompanie Ludger noch gut tun würde. Wenn es hätte sein sollen, dass wir länger zusammenbleiben, hätte ihn sein Körper sicher nicht zurückgepfiffen.
Trotzdem „feierten“ wir das überraschende Wiedersehen natürlich bei einer Tasse Café con leche. Dabei ließ ich mir von Ludger ausführlich seine gestrige Leidensgeschichte erzählen. Noch vor ein paar Tagen hatten wir im lockeren Plausch über die vermeintlich mäßige medizinische Infrastruktur auf dem Camino gesprochen und gehofft, dass wir gar nicht erst in die Situation kommen, ein Krankenhaus von innen betrachten zu müssen. So schnell kann’s gehen und man ist froh, eins in der Nähe zu haben.
Unser 2. Abschied voneinander wird wohl der letzte während des Camino gewesen sein. Mit den Worten „Bis die Tage in Santiago“ gingen wir auseinander. Natürlich war‘s mehr ein Wunsch, ob’s tatsächlich so weit kommt, werden wir sehen. Aus der Stadt hinaus ging es wesentlich schneller als hinein, ansehnlicher war es nicht. Der große Stadtpark glich einer Mülldeponie, man sah vor lauter Plastikbechern, Einweggeschirr und sonstigem Unrat das Gras kaum noch. Ich gehe mal davon aus, dass es dort nicht immer so aussieht, schiebe es vielmehr auf ein Groß-Event, was am Wochenende hier stattgefunden haben muss. However. Es folgten ein paar graue Vororte, bis ich endgültig aus dem Großraum Burgos hinaus war. Damit wurde der Weg aber nicht attraktiver. Ein weites Stück ging ich durch großflächig abgeholzte Wälder auf breiten, mit Pfützen übersäten Wegen. Was für eine trostlose Gegend! Pilgern begegnete ich keinen mehr. Für die meisten ist wohl Burgos Etappenziel. Zur Abwechslung ergoss sich mal wieder ein heftiger Schauer über mir, Schutz davor fand ich auf diesem Abschnitt des Weges nicht. Dabei war ich gerade so schön abgetrocknet. Nun ja, ist eigentlich so was von egal. Durfte ja dankbar sein, dass es die ganze Zeit trocken geblieben ist, während ich in Burgos unterwegs war. Das Wetter änderte sich trotzdem, die Wolkenlücken wurden größer und die sonnigen Perioden damit länger. Im Eilzugtempo peitschte der Wind die verbliebenen Regenwolken vor sich her. Noch zwei Mal gab es kurze, dafür knackige Güsse. So war ich mal nass, aber fast genauso schnell wieder trocken. Mit den besten Karnevalsliedern von den Höhnern fand ich eine effektive Ablenkung auf diesem Teil des Camino, der frei von jeglichen Reizen war. In Tardajos hatte mich der „echte“ Jakobsweg wieder, der dörfliche Charakter war zurück! Alles strahlte im grellen Licht der Sonne. Es war, als ging sie auch innerlich auf. Obwohl ich mein heutiges Tagesziel noch gar nicht erreicht hatte, erfasste mich eine drängende Lust auf die morgige Etappe. Hoffentlich bekommt meine aufkommende Euphorie nicht morgen früh einen Dämpfer, wenn ich aus dem Fenster schaue und sich das Wetter so präsentiert wie heute in Atapuerca. Nur, warum sollte ich mir durch solche Eventualitäten heute die gute Laune verderben lassen? Kommt gar nicht in Frage!
Rabé de las Calzadas war nun schnell erreicht. Winzig ist der Ort, aber mit so viel mittelalterlichem Charme, dass für mich sofort klar war:
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