Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
„Hier bleibe ich!“ Außer einer kleinen Pilgerherberge gibt es keine Infrastruktur, kein Laden, keine Bar, keine Telefonzelle. Hier am Eingang zur Meseta scheint man vom Rest der Welt abgeschnitten. Burgos erscheint sooo fern, dabei ist es gerade einmal 11 km entfernt. In der Albergue ist längst nicht jeder Pilger willkommen. Radpilger müssen bis zum Abend warten, ob sie Einlass bekommen und dürfen nur dann bleiben, wenn noch Betten frei sind. Fußpilger wiederum müssen an einem Tag mindestens eine Station vor Burgos gestartet sein, wenn sie auf eine Nacht in Rabé hoffen wollen. So
inspizierte denn die Dame des Hauses meinen Pi lgerausweis auch sehr genau, um zu prüfen, wo ich heute gestartet bin. „Atapuerca?“, fragte sie mich mit misstrauischem Blick. „Si!“ erwiderte ich. Damit hatte ich diese Hürde gemeistert und durfte das Haus betreten. Ich war alleine, keines der insgesamt 8 Betten war belegt. Hat wohl keiner Einlass gewährt bekommen!?
Das strenge „Aufnahmeverfahren“ liegt in der traditionalistischen Haltung der Dame begründet. In ihren Augen sind zu viele „falsche“ Pilger auf dem Weg. „Das sind eigentlich Touristen, die gehören nicht in Pilgerherbergen!“, stellte sie klar. Für sie und ihren Mann ist der Camino etwas Heiliges, die Verwässerung und zunehmende Kommerzialisierung, die er durch seine neu gewonnene Popularität in den letzten Jahren erfahren hat, bereitet ihnen große Sorgen. Wenigstens bei sich möchten sie sich ein Stück alter Pilgerromantik erhalten. Auf jeden Fall ist es ihr gutes Recht, zu entscheiden, wen sie in ihr Haus lassen und wen nicht. Ich habe „Glück“ und bin als Pilger anerkannt! Die resolute, aber durchaus liebenswerte Dame machte mich mit der Hausordnung vertraut, es gelten strenge Regeln. Werde aber wohl kein Problem haben, mich daran zu halten. Nach dieser Einführung bekam ich das private Pilgerzimmer des Ehepaares gezeigt. Es steckt voller nostalgischer Erinnerungsstücke aus 21 eigenen Pilgerjahren. Hier spürt man eine tiefe Verwurzelung und kann auch die Sorgen der beiden ein wenig verstehen. Wenn man sich die rege Bautätigkeit an manchen Stellen entlang des Weges anschaut und hört, dass dies erst der Anfang sein soll, gleichzeitig von Jahr zu Jahr mehr Menschen die klassische Pilgerroute bevölkern (davon ohne Frage viele Touristen), dann fürchtet man zu Recht um seine vielen, im Laufe der Jahrhunderte entstandenen Reize. Die Einzigartigkeit des Camino wird mit fortschreitender Entwicklung leiden, ob sie ganz verloren geht, das entscheiden die Menschen, die ihn beschreiten. Der ständige Fortschritt (wenn’s denn immer einer ist) unserer modernen Zeit geht am Jakobsweg jedenfalls nicht vorbei, das scheint klar. Das kann man gut finden oder auch nicht. Viele Menschen, viele Meinungen. Ich habe inzwischen eine Reihe von Pilgern gesprochen, die über den zunehmenden Tourismus auf dem Jakobsweg schimpfen. Auch ich empfinde ihn als störend, da wo ich auf ihn treffe. Ich finde, er gehört hier einfach nicht hin. Aber, es ist ein offener, für jedermann zugänglicher Weg, jedem ist es erlaubt, hier zu sein, egal mit welcher Intention. Der Pilger hat nicht das natürliche Recht, diesen Weg für sich allein zu beanspruchen, auch wenn er es sich noch so sehr wünscht. Wer die totale Abgeschiedenheit sucht, wird sich in Zukunft daher wohl andere Wege suchen müssen. Im Übrigen glaube ich, dass der Hype um den Camino in ein paar Jahren sowieso wieder abflaut und sich die gesamte Bewegung auf einem „vernünftigen“ Niveau reguliert - was auch immer vernünftig ist. Schluss damit, es ist ja eh’ alles subjektiv! Die Zeit wird’s zeigen, Punkt!
Den frühen Abend habe ich dazu genutzt, auf dem kleinen Dorfplatz vor der Kirche abzuhängen. Der kräftige Wind hatte inzwischen alle Regenwolken weggepustet. In der Sonne war es bis zur einsetzenden Dunkelheit angenehm warm. Pilger sind keine mehr gekommen. Ich bin also tatsächlich ganz allein in einer Pilgerherberge, wer hätte das gedacht? Von wegen übervölkerter Camino!
Zusammen mit dem Ehepaar aß ich bei klassischer Musik zu Abend. Wer hier aufgenommen wird, bekommt den Familienanschluss gratis dazu. Ich finde es toll, genau wie die Kochkünste der Frau, die mir einen schmackhaften vegetarischen Linseneintopf nach spanischer Art zubereitet hat. Ein Gedicht! Gibt außerdem viel Kraft, wie sie mir versicherte.
Bin beinahe zu satt, um mich schlafen zu legen, außerdem
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