Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Bewusstsein, dass der heutige nicht annähernd so kontrastreich wird, führten mich die ersten Kilometer am Canal de Castilla entlang. Der diente früher dem Getreidetransport und überwindet mit 49 Wehren immerhin 150 Höhenmeter, 14 davon allein in Frómista. Heute nutzen Paddler den Kanal als Fernwanderroute und für die Landwirtschaft ist er eine wichtige Bewässerungsader. In Frómista gefällt die romanische Kirche aus dem Jahr 1066 mit besonders harmonischen Formen und detailverliebter Bildhauerkunst. Nach einem Stück Straße ging es auf komplett flachem Gelände durch, na was wohl, Getreidefelder ohne besondere Reize weiter. Das Schönste waren noch die ständig wechselnden Wolkenformationen. Mit etwa 20° C war es sehr angenehm zu gehen, von der berüchtigten Meseta-Hitze war nichts zu spüren. Die Sonne ließ sich nur selten blicken.
Nach 5 km mündete der Feldweg wieder in der Straße, die von da an direkt neben dem Camino verläuft. Ab hier wurde es stumpfes Gehen. Gut, dass wenigstens nicht gar so viele Autos unterwegs waren. Meinen einzigen Kampf hatte ich mit dem permanent heftigen Seitenwind auszufechten. Er verschaffte mir die eine oder andere Gleichgewichtsstörung. Sonst hatte dieser Weg rein gar nichts zu bieten. Durch meinen späten Aufbruch war ich ganz allein auf weiter Flur. Erst in Villalcázar de Sirga traf ich auf Pilger: Emily und Jane aus Kanada (2 aus der Albergue von Boadilla), die mit einem Brasilianer picknickten. Nach der Einöde war ich dankbar für ein nettes Gespräch und gesellte mich zu ihnen. Bemerkenswert in dem Ort ist einzig die wuchtige Kirche, die eher einem unförmigen Klotz gleicht, aber mit einem außergewöhnlichen Portal aufzufallen weiß. Direkt hinter dem Ort wartete wieder die Straße, die bis zum Ende der Tagesetappe in den Ort Carrión de los Condes neben dem Pilgerweg verlief. Wirklich ein krasser Gegensatz zu dem Zauber von gestern, mit dem ich mir immer noch warme Gedanken bereitete. Für Kurzweil sorgten die Gespräche mit Jane und Emily auf den letzten 3 Kilometern. Wir alle waren froh, heute nicht mehr weitergehen zu müssen und suchten gemeinsam ein günstiges Pilgerhostal auf, in dem wir ein 5-Bett-Zimmer bezogen. Ein Bett war bereits belegt, für das letzte freie würde sich bestimmt noch ein Pilger finden, waren wir sicher. Es war ja noch früh am Tag, etwa 15 Uhr.
Eine erste Erkundungstour durch den Ort endete an einer Café-Bar, wo wir (Emily, Jane und ich) auf weitere Kanadier trafen. Überrascht mich, wie populär der Jakobsweg dort ist. Viele der Pilger, die von außerhalb Deutschlands kommen, haben irgendwann mal das Buch von Paulo Coelho gelesen, wenige das von Shirley MacLaine. Wenn ich die Kanadier so über ihre Heimat sprechen höre und an meine eigenen Eindrücke und Erfahrungen denke, dann würde ich am liebsten direkt im Anschluss des Jakobsweges hin fliegen, mir ein Haus am See oder Meer kaufen und dort sesshaft werden. Ein Weg, etwas für die eigene Existenz zu tun, ließe sich finden, das haben schon andere geschafft. Mal sehen, vielleicht lässt sich da ja mit Wiebke drüber reden. Das Familiäre dürfte eigentlich kein Problem darstellen. Wiebke besucht ihre Eltern zwei Mal im Jahr und meine Eltern kommen ein paar Monate nach Kanada, raus aus den engen Strukturen Deutschlands. Mir selbst würde es reichen, alle paar Jahre Deutschland einen Besuch abzustatten. Ich merke, dass das Land selber als Zuhause für mich keine so große Bedeutung hat. Ja, der Gedanke gefällt mir. Kanada ist ein Traum (eigentlich schon seit meiner Kindheit), der es wert ist, ihn mit Leben zu füllen. Einen Broterwerb zu finden, sollte sicher möglich sein. Oh, ich merke schon, mich mit einer Rückkehr in den stinknormalen deutschen Arbeitsalltag zu beschäftigen, fällt mir zunehmend schwer, mehr noch, es ist momentan geradezu unmöglich, stößt regelrecht ab. Huäää… . Ich bin ja mal gespannt, wo mein zukünftiger Weg hinführen wird, wovon ich mich langfristig leiten lasse, welche Perspektiven sich ergeben. Konventionell wird das sicher nicht von statten gehen, zumal jegliches Interesse fehlt, auch nur annähernd in die alten Strukturen zurückzukehren. Eine Karriere um der Karriere selbst willen wird definitiv keine Bedeutung mehr für mich haben, aber das hatte sie ja eigentlich vorher schon nicht. Es könnte sein, dass ich, gesellschaftlich gesehen, zu einem Außenseiter mutiere, in welcher Form auch immer sich das äußern mag. Ich werde
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