Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
aber wir blieben standhaft. Heute wollen wir uns früher schlafen legen! Der gestrige Tag war etwas ganz Besonderes und das soll er auch bleiben. Auch so war es bereits kurz vor Mitternacht, als wir uns in unsere Herbergen begaben. Im Dunkeln wirkte die 700 Jahre alte Brücke durch die vielen Laternen, die ein warmes Licht auf sie warfen, noch schöner als tagsüber. Geradezu perfekt geeignet als Kulisse für romantische Schmachtstreifen. Heidi aus Kanada wird sie lieben!
Während Ela sofort im Bett verschwand und inzwischen längst ins süße Reich der Träume eingetaucht ist, lasse ich den Tag mit einer genüsslich gerauchten Zigarette
auf unserer Veranda ausklingen. Über mir breitet sich der funkelnde Sternenhimmel
aus, ein paar Meter weiter schläft Brunos Pferd unter den Bäumen und aus dem Ort
weht der Wind harmonische Klänge der Musik herüber. Das Leben ist schön!
Eine von vielen schönen Brücken – und die mit Abstand längste!
Tag 74, H.d.Órbigo – Murias de Rechivaldo 22,5 km
Das Rührei war leider etwas versalzen. Meersalz ist halt intensiver, das hätte ich vorher wissen müssen. Egal, es wurde wieder warm heute, wir kamen kräftig ins Schwitzen, da durfte es ruhig etwas mehr sein. Spät, erst um 9 Uhr, kamen wir in die Hufen. Mit Hausarbeit dauert es eben gleich länger. Machte aber nichts, was verliert man denn schon? Zeit? Nee, ganz bestimmt nicht, die spielt hier so was von keine Rolle. Schnell nahm uns die Natur auf, die flache Landschaft ging langsam zu Ende, es wurde zunehmend hügeliger. Die vor uns liegende Bergkette rückte immer näher. Es blieb wildwüchsig. Ela und ich waren heute meist schweigend unterwegs. Man muss nicht immer reden. Der Weg war es, der unterhielt – und die vielen Störche, die über uns ihre weiten Kreise zogen. So erreichten wir eine Anhöhe vor Astorga, von der sich ein schöner Blick auf die geschichtsträchtige Stadt bot.
Astorga selbst verdient einen längeren Aufenthalt. Man hätte sicher auch bleiben können, aber nach dem tollen Tag in León wollten wir nicht schon wieder einen Stadtaufenthalt. Daher beließen wir es bei einer Besichtigungstour. Herausragende Gebäude in einer insgesamt sehenswerten Stadt sind die Kathedrale und der verspielte Gaudi-Palast. Bei einem Drink mit einigen anderen Pilgern (u. a. die üblichen Verdächtigen) hingen wir noch eine ganze Weile auf dem Marktplatz ab, bis wir uns wieder (mühsam) in Bewegung setzten. Eine gewisse Trägheit machte sich bei mir breit. Mein Körper funkte wohl gerade ein Signal, dass er etwas kürzer treten wollte. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Also sollte er bekommen, wonach er rief.
Knapp 5 km hinter Astorga wartete schon der nächste kleine Ort mit einer Albergue, Murias de Rechivaldo. Vorher wurden wir jedoch (kurz hinter dem Ortseingang) in ein eigentlich privates Dorf- oder Familienfest gelotst. Dort herrschte unter den zumeist älteren Leuten ausgelassene Folklore-Stimmung bei spanischer Musik und Flamenco-Tänzen. Wir wurden gastfreundlich empfangen, bekamen was Kühles zu trinken und durften dem Treiben eine Weile folgen. Ich glaube, wir können uns in Deutschland noch so sehr anstrengen, aber diesen Ausdruck von Lebensfreude bekommen wir einfach nicht hin. Das hat man im Blut oder eben nicht. Inszenieren lässt sich das nicht, zumindest nicht in seiner unverfälschten Form. Ist ja auch okay so. Jedes Land und jedes Volk hat eben seine eigenen Reize. Die von uns Deutschen erschließen sich nur meist nicht auf den ersten oder zweiten Blick. Da kann es auch schon mal bis zum 3. oder 4. dauern. Tue ich uns damit jetzt unrecht? Ich denke nicht, vielleicht ein paar Wenigen. Wie ich finde, stände es uns ganz gut zu Gesicht, das Leben und sich selbst nicht immer ganz so ernst zu nehmen. Etwas von dem, was uns während der WM im letzten Jahr weltweit so viele Sympathien gebracht hat, das wäre schön. Ach, was rede ich? Ich urteile hier über Dinge, die ausschließlich meiner Subjektivität entspringen. Also, Deckel drauf! Jeder sollte sich in seiner Haut wohl fühlen. Wer es tut, gut, wer nicht, der sollte sich überlegen, warum nicht, und etwas dagegen unternehmen. So einfach ist das! Oder etwa nicht?
Nach diesem netten kleinen Abstecher warf ich einen Blick in die Albergue und beschloss zu bleiben. Ela war es zu früh, sie hatte noch genügend Energie und wollte vielleicht gar bis Rabanal weiter,
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