Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
regnete auch nicht, als die letzten Sonnenstrahlen von Wolken verdeckt wurden und den großen Zauber aus Farben und Licht beendeten. Ich war die ganze Zeit von Pilgern umgeben, zunehmend von spanischen Gruppen und Jugendlichen. Überraschend traf ich kurz vor Rabanal del Camino das vermeintlich spanische Pilgerpaar wieder, das in Wirklichkeit aus Brasilien kommt. War bestimmt eine Woche her, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, ich glaube kurz vor Burgos war es. Erstmals begannen wir eine kurze Unterhaltung. Die hübsche Frau spricht sehr ordentlich Englisch, der Mann allerdings gar nicht. Die beiden waren angezogen wie im Winter und froren dennoch fürchterlich. Es muss ein seltsames Bild gewesen sein mit mir in kurzer Hose und T-Shirt daneben. In der Bar einer mit viel Liebe zum Detail hergerichteten Albergue von Rabanal wärmte ich mich mit 2 Tassen Kaffee auf, bevor ich den nun steiler werdenden Anstieg nach Foncebadón in Angriff nahm. Mit jedem Höhenmeter verbesserten sich die Aussichten, daran änderte auch die trübe Witterung nichts. Das Dorf Foncebadón weckt durch die vielen Erzählungen in alten Büchern als unheimliche Geisterstadt mit mysteriösen Begegnungen, wilden Hunden etc. Erwartungen, die es natürlich nicht erfüllen kann. Gleichwohl wohnt ihr in dieser schroffen Gebirgswelt etwas Ablehnendes und Gespenstisches inne. Besonders gut kommt dies bestimmt bei einsetzender Dunkelheit zur Geltung. Bis auf 5 Einwohner, die alte Pilgerherbergen wiederbelebt haben, ist der Ort nach wie vor eine Geisterstadt mit überwiegend verfallenen Gebäuden, von denen häufig nur noch die Grundmauern stehen. Viele große Hunde hat es dort auch, die sind aber alles andere als wild, zumindest waren sie es nicht, als ich vorbeikam. Völlig ungerührt lagen sie vor den Ruinen der alten Häuser und nahmen keine Notiz von uns vorbeiziehenden Pilgern. Wenn ich mir überlege, dass der Ursprung von Foncebadón ins 12. Jahrhundert zurück geht und dem Ort früher eine herausragende Bedeutung für die Pilgerbewegung zuteil wurde, dann regt das schon zum Nachdenken und Phantasieren an. Was mag sich hier wohl im Laufe der Jahrhunderte alles zugetragen haben? Die Antwort bleibe ich mir mangels Wissen schuldig, aber es waren sicher abenteuerliche Geschichten.
Der Anstieg setzte sich hinter Foncebadón durch unfruchtbares und felsiges Gelände bis zum nächsten Ort von größerer Bedeutung fort, dem Cruz de Ferro. Für manche nur ein einfaches Eisenkreuz auf einem großen Steinhaufen, für andere ein beinahe heiliger Ort, für die meisten Pilger aber ganz sicher Schauplatz eines Jahrhunderte alten Rituals. Ich war zum Zeitpunkt meiner Ankunft alleine, über dem Kreuz riss die ansonsten dichte Wolkendecke für ein paar Minuten auf, es war mir unmöglich, mich der besonderen Magie des Augenblicks zu entziehen. Aber warum hätte ich das auch tun sollen? Ich vollzog das Ritual, welches für einen Außenstehenden ob seiner Schlichtheit nur schwer nachvollziehbar erscheint, warf einen von zu Hause mitgebrachten Stein auf den Haufen, berührte das Kreuz und verharrte mit geschlossenen Augen eine ganze Weile in andächtiger Stille. Nicht mehr und doch ergreifend. Dankbarkeit kam in mir auf.
Eine eintreffende Reisegruppe riss mich jäh aus meiner inneren Versunkenheit und bedeutete mir durch seine Anwesenheit, das Cruz de Ferro nun zu verlassen. War okay so, ich war fertig und froh darüber, dass ich für ein paar Minuten der einzige Mensch dort oben sein durfte. Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch, nicht unangenehm, setzte ich mich in Bewegung, die Sonne war wieder hinter den Wolken verschwunden. Obwohl ich den Camino noch nicht zu Ende gegangen bin, erschien es mir so, als würde ich ihn im Zeitraffer zurücklegen. War ich nicht erst vor wenigen Tagen über die Pyrenäen in Spanien angekommen? Pamplona, Logroño, der legendäre erste Tag in der Meseta, León, noch so vieles mehr und nun schon das Cruz de Ferro! Unaufhaltsam komme ich Santiago näher! Es ist nicht zu stoppen! Will ich ja auch gar nicht. Aber ich merkte erstmals sehr deutlich, dieser Weg nähert sich dem Ende! Das erfüllt mich nicht nur mit Vorfreude! Der Weg ist mir ans Herz gewachsen. Ich fühle mich auf ihm zuhause, beschützt, frei, ja, glücklich! So etwas lässt man nicht gerne hinter sich. Andererseits freue ich mich natürlich auf Wiebke, meine Eltern, meine liebe Oma und ein paar Freunde. Ich habe das Gefühl, dass ich langsam beginne, den Camino
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