Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
danach kam, war die Zugabe auf einen tollen Urlaubstag. Mit einsetzender Dunkelheit entfaltete die ganze Stadt ihr volles Temperament. Viva España! Die Gassen waren voll und auf dem Plaza Mayor spielten sich die Musiker langsam warm. Wir beschlossen, dem Konzert vom Balkon unseres Aufenthaltsraumes zu folgen, besorgten uns vorher noch schnell 3 Flaschen Wein und Plastikbecher. Neben uns nutzten nur ein paar wenige Gäste eines teuren Hotels die Logenplätze mit direktem Blick auf die Bühne und die tanzende Masse (bestimmt 2.000 Leute). Der ganze Plaza war ringsherum wunderschön beleuchtet, die Stimmung endgeil! Dazu Musik vom Feinsten. Moderne Popsongs im spanisch-folkloristischen Stil, vorgetragen von einer Top-Band. So stelle ich mir unverfälschten Lifestyle made in Spanien vor. Die Stunden vergingen, noch nicht einmal der Wein reichte. Kurz vor Mitternacht zog Jos los, um noch einmal 2 neue Flaschen zu holen. Den Rest der Nacht auf dem Trockenen zu sitzen, ging gar nicht! Mit Pilgerfeeling hatte das zwar nichts mehr zu tun, aber solche Momente muss man einfach mitnehmen, die kann man nicht planen. Mal sehen, wie wir morgen früh die Kurve kriegen und was der Kopf sagt. Aber morgen ist morgen, das interessiert heute nicht! Bis nach 2 Uhr in der Nacht ging die Veranstaltung, die bis zum Schluss nichts von ihrer tollen Atmosphäre eingebüßt hat. Und wir mit den besten Plätzen der ganzen Stadt. Wenn das nicht ein absolutes Mega-Highlight war, was ist es dann? Nach insgesamt nun 5 Flaschen Wein haben wir jetzt die nötige Müdigkeit für einen sicher tiefen aber wohl etwas zu kurzen Schlaf. Jos schnarcht schon selig!
Was kommt noch? Kann Santiago überhaupt besser werden? Bald weiß ich’s.
Tag 73, León – Hospital de Órbigo 37,5 km
Keine Kopfschmerzen, der Wein war gut! Trotz nur 5 Stunden Schlaf fühlte ich mich erstaunlich ausgeruht. Beim Blick hinaus auf den Plaza Mayor musste ich mir die Augen reiben. Schon wieder herrschte geschäftiges Treiben. Diesmal waren es Markthändler, die ihre Stände mit frischem Obst und Gemüse bestückten. Sehr gut, ein paar frische Bananen für den Weg waren mir sicher! Um 8:30 Uhr brach ich mit Ela auf. Jos blieb noch liegen. Er erwartete ein Paket aus der Heimat und die Post öffnete erst um 10 Uhr ihre Pforten. Nach einem schnellen Kaffee kamen Ela und ich gleich gut in die Puschen. Hätte ich nicht unbedingt gedacht. Trotzdem zog es sich ziemlich zäh in die Länge, rund 10 km gingen wir durch wenig ansprechende Vororte und Industriegebiete bis Virgen del Camino. Am Ortsausgang ging es einen kleinen Anstieg hinauf. Dort schienen Hobbits zu wohnen, wahrscheinlich aus Neuseeland bzw. Mittelerde eingewandert. Viele kleine Erdhäuser, in die Hügel gebaut, bildeten optisch tatsächlich den Eindruck einer Hobbit-Siedlung. Ein skurriles Bild. Ela und ich vermuteten, dass es sich um Räucherhütten für Schinken handeln könnte.
Danach wurde die Besiedlung zunehmend dünner und schon bald hatte uns die Natur wieder. Durch unkultiviertes flaches Steppengebiet führte uns ein langer Feldweg bis Villar de Mazarife. Nur ein einziger Ort unterbrach die ansonsten unbesiedelte Landschaft. Tat das gut! Das kleine Nest Villar de Mazarife war willkommene Haltestelle für eine ausgedehnte Kaffeepause. Die machten auch Eileen und Torsten gerade. Die beiden hatten wegen kräftiger Schnarchkonzerte in ihrer Albergue eine nur sehr mäßige Nachtruhe. Ohne Schadenfreude erzählten Ela und ich von unserer Konzertnacht, die ungleich mehr Spaß bereitet hat. Getrennt voneinander setzten wir nach unserer Rast den Weg fort. Der landschaftliche Charakter änderte sich kaum. Das Gehen war eine Freude. Dabei wurden wir durchgehend von der Sonne verwöhnt, die für optimale Wärme sorgte.
Ela ist topfit, sie geht den gleichen Rhythmus wie ich. Es ist nicht so, dass ich wegen ihr langsamer gehen müsste. Wir schwiegen kaum auf dem langen Weg. Sie erzählte mir, wie es sie nach Australien verschlagen hat. Eine Geschichte, die deutlich macht, dass der pure Verstand vielen guten Entscheidungen häufig mehr im Wege steht, als dass er nützt. Herz, Gefühl und Mut waren vor Jahren die ausschlaggebenden Faktoren, diesen großen Schritt zu wagen, den sie und ihr Mann nie bereut haben. Angefangen hatte alles mit einer erst gar nicht so ernst gemeinten Offerte während eines Urlaubs... .
Eine komplette Rückkehr nach Deutschland möchte Ela sich heute gar
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