Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
passierte ich eine Herberge, in der viele Betten draußen stehen. Bestimmt schön, bei sternenklarer Nacht dort zu schlafen. Ganz nebenbei gut für die Sauerstoffversorgung. Kurz hinter dem Ort machte sich das brasilianische Paar zwecks Selbstversorgung an einem Kirschbaum zu schaffen. Erfreulicherweise gestaltete sich der Weg in die recht große Stadt Ponferrada sehr angenehm. Abseits der Straße durchquerte ich Weinfelder und gelangte über einen kleinen Vorort, die letzten Meter in Begleitung vom Sachsen-Pilger, fast direkt ins Zentrum. Die Stadt liegt eingebettet in ein weitgestrecktes Tal. Die sie umgebenden Berge bilden ein sehenswertes Panorama.
Alles überragendes Bauwerk ist die ehemalige Festung der Tempelritter, die gerade aufwändig saniert wird. So stellt man sich eine alte Ritterburg vor, mit hohen Mauern und vielen Türmchen. Hier könnte Hägar nach Herzenslust plündern. Ich weiß nur nicht, ob er auf seinen Raubzügen überhaupt bis nach Spanien kommt. In der Innenstadt gibt’s ein schönes Rathaus und einen alten Glockenturm, der gleichzeitig
den Durchgang in den mittelalterlichen Teil der Stadt bildet. Weniger eindrucksvoll ist
die Basilika. Dort läuft gerade eine Langzeit-Kunstausstellung, in die ich nur deshalb
geriet, weil ich nach einem Stempel für meinen Pilgerpass fragte. Der begehrte Abdruck war nur am Ausgang zu bekommen, also ging ich hinein. Als Kunstbanause ließen mich die meisten Exponate unberührt, ich wunderte mich nur, wie manche Dinge zu der Ehre gelangen, Kunstwerk sein zu dürfen. Aber diese Frage findet in den Windungen meines wohl nicht fein genug gegliederten Hirns keine Antwort. Für mich absolut nicht nachvollziehbar waren die vielen Gewalt darstellenden Bilder, die Jakobus als Maurentöter mit stolz erhobenem Schwert inmitten abgehackter Maurenhäupter zeigen. Was hat so etwas in einem Gotteshaus zu suchen? Warum distanziert sich eine Weltinstitution wie die katholische Kirche nicht von solch martialischen Darstellungen? Ich denke, Frieden, Versöhnung, Nächstenliebe usw. lauten die Botschaften. Wieso dann solche Massaker? Das passt doch nicht zusammen! Wahrscheinlich würde man mir jetzt antworten, die Bilder sollen Mahnung sein. Quatsch! Kokolores! Ich sehe in dieser Ausdrucksform eine unterschwellige Verachtung für die, die nicht katholisch sind, so nach dem Motto: „Die haben wir damals platt gemacht!“ Eine Zurschaustellung der eigenen Macht, nichts anderes! Liebe katholische Kirche, verzeih mir, wenn ich deine Bauwerke auch weiterhin betreten werde, obwohl ich dich als Institution nicht mag. Gott wird sicher nichts dagegen haben, er mag nämlich auch alle Nichtkatholiken!!!
Oops, ein bisschen scheint mich die Ausstellung ja doch berührt zu haben. Ich fühlte
mich nicht mehr wohl, sah zu, dass ich zu m Ausgang gelangte, wollte mich außerdem nicht noch mehr echauffieren. Statt nach draußen gelangte ich jedoch in einen künstlichen Tunnel außerhalb der Kirche, wo ich mit meditativer Musik empfangen wurde. An den Wänden rechts und links wurde der spanische Jakobsweg in Form großer Bilder visualisiert. Alle Stationen, die ich in den letzten Wochen durchwandert habe, wurden mir vor Augen geführt. Von einem Moment zum anderen schlug meine Stimmung um, übermannten mich Gefühle, die ich bisher gar nicht von mir kannte. Ohne, dass ich sie kontrollieren konnte, ergriffen sie Besitz von mir. Zunächst in Form von Gänsehaut, danach floss Wasser! Ich war nicht in der Lage, es zurückzuhalten, warum auch? Ungesteuert (oder ferngesteuert?) trieb ich durch diesen Tunnel voller Emotionen. Was passiert hier, fragte ich mich. Ich konnte es zunächst nicht einordnen. Erst am Ende des Tunnels beruhigte sich mein aufgewühlter Geist, ich kam langsam wieder zu mir. Völlig unerwartet hatte es mich erwischt. Eigentlich war alles in der Röhre doch nur inszeniert, aber es war so lebendig, so echt, so nah. Alles Erlebte meiner langen Reise stürzte in kürzester Zeit auf mich ein, führte mich, unterlegt von dieser herrlich sanften Musik, kurzzeitig in andere Sphären. Dort habe ich erstmals so richtig realisiert, was für einen langen Weg ich schon gegangen bin, was er mit mir gemacht hat, was er mir geschenkt hat. Welch sonderbarer, welch wunderbarer Augenblick!
Gerade noch Wut und Aufgewühltheit, plötzlich tiefe Entspanntheit. Es kam mir vor, als hätte Gott persönlich mich mit meinen negativen Gedanken versöhnt, mich neu zentriert. Beim Eintritt
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