Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
einfach gut mit uns, ob wir nun an Gott glauben oder nicht.
Der Abend wurde schön wie er schöner gar nicht hätte sein können. Mit der ganzen Familie saßen wir im Garten an einem langen Tisch, aßen gemeinsam zu Abend (einen Haufen Spaghetti), tranken ein paar Bierchen, quatschten und hatten viel Spaß. Ich ließ meine überschüssigen Energiereserven bei ein paar Begegnungen Tischtennis mit den 4 Kindern raus. Zu meiner Überraschung klappte das von Ballwechsel zu Ballwechsel immer besser, obwohl ich jahrelang keinen Tischtennisschläger mehr in der Hand gehabt habe. Einzig eine reinigende Dusche blieb uns heute verwehrt. Wen stört‘s? Eigentlich könnte ich total zufrieden sein. Wenn nur diese blöden 7 km nicht wären. Ich werde meine Konsequenzen daraus ziehen und mich bis Santiago in kein Auto mehr setzen! Jedenfalls nicht ohne Not! Morgen werde ich sicher noch gemeinsam mit Karl-Heinz weitermarschieren, aber ich gehe davon aus, dass sich danach unsere Wege zumindest vorläufig trennen. In mir erwacht das Bedürfnis, wieder meinem eigenen Rhythmus zu folgen. Gute Nacht… .
…Ein paar Stunden später, zwischen 3 und 4 Uhr… :
Eine gute Nacht, die hätte ich gerne gehabt! Meine Hoffnung auf geruhsamen Schlaf ist längst geplatzt. Seit Stunden schon reißen heftigste Windböen an der Zeltplane, verursachen dabei einen Höllenlärm. Ohne vorherige Anzeichen ging es los, kaum dass wir uns hingelegt hatten. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, dass das ganze Zelt über uns zusammenbricht. Nach den anfänglichen Böen hat sich mittlerweile ein gefühlter Sturm entwickelt, dicke Regentropfen prasseln auf das Dach, ich bekomme nicht ein Auge zu. Vom Gefühl vergehen Sekunden wie Minuten und Minuten wie Stunden. Eine Stunde erscheint wie eine halbe Ewigkeit. Es nützt nix, trotz aller Müdigkeit kann ich einfach nicht einschlafen. Dazu wird’s mir unter der Decke langsam unangenehm kühl und die Matratze ist auch viel zu weich. Kurz, die Nacht ist eine einzige Katastrophe. Wenigstens scheint das Zelt zu halten. Karl-Heinz liegt in der anderen Kammer auch wach, er hat aber wenigstens schon etwas geschlafen.
Noch nie habe ich das Ende einer Nacht so herbeigesehnt...!
Alte Steinbrücke aus der Vogelperspektive
Tag 30, Saint Révèrien - Prémery 17 km
Die Morgendämmerung empfand ich wie eine Erlösung, endlich war diese Nacht überstanden. Fühlte mich total gerädert, völlig zermatscht! Draußen war es empfindlich kalt geworden. Ich wartete trotzdem vor dem Zelt, bis auch Karl-Heinz herausgekrochen kam. Am Himmel vollzog sich derweil ein spektakuläres Schauspiel: In atemberaubender Geschwindigkeit zogen die Wolken über uns, die vom immer noch stürmischen Wind vorangepeitscht wurden. Das war wirklich grandios. Karl-Heinz erschien mir erstaunlich ausgeruht und tatendurstig, während ich nicht aufbrechen wollte, ohne eine Tasse Kaffee getrunken zu haben. Endlich, um kurz vor 7 Uhr ging Licht in der Küche an, Kinder und Mutter sahen fast genauso zerknittert aus wie ich mich fühlte. In der warmen Stube und mit 2 Schalen Kaffee verschwand langsam aber sicher das Frösteln aus meinem Körper. Tat das gut! Da der Durchschnittsfranzose nun mal nicht richtig frühstückt, waren ein paar trockene Baguettestücke von gestern und Kekse die einzig feste Nahrung, die an diesem Morgen für uns abfiel. Alles in allem keine wirklich gute Basis für den Tag. Trotzdem sind wir natürlich dankbar, dass wir überhaupt von der Familie aufgenommen wurden.
Als ich nach dem Frühstück im Zelt meinen Rucksack packen wollte, passierte mir zu allem Überfluss ein Malheur. Bereits das laute Knack-Geräusch unter meinen Füßen ließ mich befürchten, was ich angerichtet habe. Die kostbare Pilgermuschel habe ich kaputt getreten. Unbemerkt von mir muss sie auf den Boden gefallen und dabei unter eine Plastiktüte gerutscht sein. Der Rest kann eben in der Enge und dem Halbdunkel eines Zeltes passieren. Aber ausgerechnet die Muschel, das Symbol des Weges! Ausgerechnet die Muschel, die als stiller Begleiter während der Pilgerreise Unglück vom Pilger fernhalten soll. Noch dazu ausgerechnet Rainers gutes Stück. Ich bin eigentlich gar nicht abergläubisch, aber in dem Moment empfand ich die zerbrochene Muschel wie ein kleines Unglück. Ein gutes Omen ist’s bestimmt nicht, bildete ich mir ein und schimpfte über meine Trotteligkeit. Wenigstens war die Muschel relativ glatt in nur 2
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