Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
gesprächiger als gestern, erzählten ein bisschen was von uns. Karl-Heinz ist zu meiner Überraschung schon 63 Jahre alt und seit 10 Jahren im Ruhestand. Vorher war er über 30 Jahre als Berufssoldat tätig, in denen er die meiste Zeit für Wartung, Reparatur und Instandhaltung von Raketenabwehrsystemen zuständig war. Es war hochinteressant, über die Zeit des Kalten Krieges aus dem Blickwinkel eines Beteiligten zu erfahren, macht jedoch gleichzeitig sehr nachdenklich. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass die Welt damals kurzzeitig am Abgrund eines nuklearen Vernichtungskrieges stand. Das Auslöschen von Leben als Ziel! Hoffen wir, dass der Mensch sich nie wieder in eine solche Lage hineinmanövriert. Trotz allem, Karl-Heinz war Soldat aus tiefster Überzeugung. Mit der Bundeswehr in seiner heutigen Ausprägung hat er allerdings nichts mehr am Hut.
Über private Dinge redeten wir ebenso wenig wie über unsere Motive, den Jakobsweg zu gehen. Wir hatten beide nicht das Bedürfnis uns dahingehend dem anderen mitzuteilen. Wir verstehen und unterhalten uns auch so gut, vielleicht fehlt uns für allzu Vertrauliches die gleiche Ebene. Mir ist übrigens schon jetzt klar, dass unsere Verbindung nur eine temporäre ist. Ich weiß nicht warum, aber mein Gefühl sagt es mir. Warten wir mal ab, im Moment ist sie für beide genau das Richtige.
Vor Corbigny fanden wir an einem ruhigen Fleckchen neben dem örtlichen Friedhof
ein ideales Pausenquartier. Danach mussten wir die Stadt durchschreiten, die sich schäbig, dreckig, laut und stinkig präsentierte. Fast eine ¾ Stunde dauerte es, bis wir
uns wieder in freier Natur befanden und kräftig durchatmen konnten. Von nun an ließ es sich wieder prima laufen, abwechselnd ging es durch hügelige Weidelandschaft und kleine verträumte Ortschaften.
In Guipy, einem dieser Nester, versuchten wir, ein Zimmer für die Nacht zu finden, 29 km hatten wir bis dahin zurückgelegt, das sollte für heute reichen. Wir fanden jedoch nur eine ältere Dame, die uns Auskunft gab, dass Guipy keine Fremdenzimmer zu bieten hat. Ohne dass wir sie verstanden, redete sie weiter auf uns ein. Wir wollten nicht unhöflich sein, also blieben wir stehen, lauschten dem Wortschwall und warteten, was passiert. Karl-Heinz und ich meinten die Gesten und ein paar Wortfetzen der Dame so zu interpretieren, dass sie eine Möglichkeit für uns in petto zu haben glaubte, scheinbar was privates. Sie fuchtelte mit einem Schlüssel rum und gab ihrem Mann Anweisung, zu telefonieren. In einem Comic hätte man Karl-Heinz und mich in dieser Situation wohl mit einem großen Fragezeichen über der Stirn und dazu passendem Gesichtsausdruck gezeichnet. Da die Frau aber offensichtlich gewillt war, uns zu einer Unterkunft zu verhelfen, harrten wir weiter aus. Grundsätzlich hätten wir auch kein Problem gehabt, die 7 km bis zum nächsten Ort zu gehen. Unsere Unterlagen verraten dort die Existenz einer kleinen Pilgerherberge. Nach ein paar Minuten kam der Ehemann mit dem Auto aus der Garage vorgefahren, bedeutete uns, die Rucksäcke in den Kofferraum zu laden und einzusteigen. Auto fahren wollten wir eigentlich beide nicht, aber die Hilfsbereitschaft abzulehnen wäre schofelig gewesen. Ich bereute ein wenig, die Dame überhaupt angesprochen zu haben und nicht gleich weitergegangen zu sein. Also stiegen wir ein und ließen uns überraschen, wo der Mann uns hinbringen würde. Auf einer Hauptstraße fuhren wir in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Erst nach rund 4 km stoppten wir vor einem Gite de France.
Ganz nett, dachte ich mir, aber andererseits bedeutete das, morgen ein langes Stück an der Hauptstraße entlang gehen zu müssen, um wieder auf den eigentlichen Weg zu gelangen. So richtig anfreunden mochte ich mich mit dem Gedanken nicht. Karl Heinz erging es ebenso. Es wurde sowieso nichts daraus, da der Inhaber des Gite unserem Fahrer mitteilte, dass er keine Zimmer frei hat. Das sagte er aber erst, nachdem wir ihn wissen ließen, dass wir nur eine Übernachtung buchen wollten. Der war garantiert nicht ausgebucht! Was soll‘s, erstmal das Gegenteil beweisen. In meinem neuen Reiseführer habe ich gelesen, dass viele Gites Gäste erst bei einem Mindestaufenthalt von 3 Nächten aufnehmen, da braucht man wohl nur 1 und 1 zusammenzählen… . Pilgerfreundlich ist das nicht! However, wir hatten jedenfalls nun schon über eine halbe Stunde verplempert und noch immer keine konkrete Aussicht auf eine Bleibe.
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