Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
herzlich voneinander, da wir beide davon ausgingen, uns nicht wieder zu treffen. Gerard wollte heute nur eine kurze Etappe absolvieren. Er ist ein feiner Kerl, völlig unaufdringlich, dazu ein angenehmer Gesprächspartner. Eine ideale Pilgerbekanntschaft. Tagsüber bevorzugt er wie ich das Alleinsein in der Natur und abends bietet er Kompanie für einen netten Ausklang. Dazu hat er mir gestern allein durch die Schilderung seines früheren Unfalls wahnsinnig geholfen. Ich werde ihn vermissen, besonders an Abenden ohne Kontakt. Aber so ist der Camino, man trifft sich und man trennt sich wieder. Letztlich geht jeder seinen eigenen Weg. Ich fragte mich in dem Zusammenhang, wo Karl Heinz jetzt stecken mag. Ist er wohl immer noch genau dieses Stück vor mir, was er am Tag unserer „Trennung“ mehr gegangen ist als ich? Vielleicht erfahre ich es, vielleicht aber auch nicht!
Das Gute vorweg, trotz tief hängender Wolkendecke begann es nicht wieder zu regnen und nach einer Stunde war ich völlig abgetrocknet, außer an den Füßen, die schmatzten immer noch. Der Weg führte nun über Felder und durch Wälder, es war wieder etwas hügeliger geworden. Einige kleine Bauernsiedlungen und mit Le Châtelet nur ein nennenswerter Ort sorgten für etwas Abwechslung. Durch abweichende Markierungen gestaltete sich die Strecke dorthin jedoch ein paar Kilometer länger als in meinem Reiseführer beschrieben. Nach dem hätte ich ausschließlich über die asphaltierte Straße gehen sollen. Bin aber froh, mich an die Wegkennzeichnung gehalten zu haben, die mich durch die Natur führte. Überhaupt ist die Wegmarkierung inzwischen so gut, dass ich mich kaum noch an die Angaben im Reiseführer halten muss. Auf diesem Teilstück gab’s jedenfalls null Übereinstimmung.
Weiter ging’s ohne Pause. Fühlte mich körperlich top. Der Weg bis Châteaumeillant war ruhig und unspektakulär. Jedoch meldete sich unterwegs mein Darm zu Wort, der ein dringendes Geschäft zu verrichten wünschte. Das erste Mal, seit ich auf dem Camino war. Bisher hatte er sich vorbildlich an die von mir vorgegebenen Zeiten gehalten. Heute nicht! Als es gerade anfing, richtig unangenehm zu werden, lief ich in einem kleinen Dorf, ich glaube Saint-Jeanvrin heißt es, direkt auf eine öffentliche Toilette zu. Danke! Auch für diese kleinen magischen Momente liebe ich den Jakobsweg! Tja, manchmal ist eben ein Klo zur richtigen Zeit am richtigen Ort in höchster Not das größte Glück auf der Welt.
Erleichtert in jeder Hinsicht legte ich anschließend die letzten paar Kilometer bis Châteaumeillant zurück. Trotz nun fast 40 km Tagespensum fühlte ich mich immer noch nicht müde. Aus der Kirche zog gerade eine Trauergemeinde. Im trüben Nebel passten das verwitterte Gotteshaus und der Anlass einer Trauerfeier perfekt zusammen. Das Freudenfest einer Hochzeit hätte bei dieser Stimmung surreale Züge gehabt. Von innen vermittelt die Kirche den Eindruck, als hätte sich in ihr seit Hunderten von Jahren nichts verändert, faszinierend!
Neben dem Campingplatz direkt an einem künstlichen Badesee liegt meine heutige Herberge, genannt Gite de Groupe. Supereinfach, dafür aber auch superbillig! Das äußerlich moderne Gebäude bietet winzige Doppelzimmer, deren Betten mit Gummimatratzen ausgestattet sind. Drinnen ist es lausig kalt und einfach nur ungemütlich. Es gibt keine Möglichkeit, meine Klamotten zum Trocknen aufzuhängen, daher fiel die Wäsche heute aus. Da ich kein Papier hatte, um meine Schuhe auszustopfen, nahm ich eine Rolle Klopapier, um wenigstens etwas Feuchtigkeit aus ihnen rauszuziehen. Trocken werden sie bis morgen sicher nicht. Ich bin allein in dem großen Zweckbau, der im Obergeschoß eine Küche hat. So konnte ich mich heute Abend wenigstens selbst versorgen. So trostlos dieser Ort gerade erscheint, so schön wird er bei sonnigem Wetter sein. Picknickbänke, eine großzügige Rasenfläche und 5 rustikale Holzhäuschen laden sicher an anderen Tagen zahlreiche Ausflügler ein, ihre Tage hier zu verbringen. Schade, dass mir diese schöne Seite heute verwehrt blieb. Aber ich will mal nicht meckern, kann glücklich sein, so wie der Tag gelaufen ist. Ich habe mich diesem Weg inzwischen so mit Haut und Haaren verschrieben, dass es für mich das Schlimmste wäre, ihn nicht weiter gehen zu können. Doch ich kann, und das werde ich auch morgen wieder tun,
egal ob es stürmt, regnet oder die Sonne scheint. Mein lädierter Knöchel ist zwar wieder
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