Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
matschige aufgeweichte Feldwege. Durch meterhohes Gras kämpfte ich mich voran. Es war der reinste Krampf. Zwischendurch verlor ich die Hinweise vollends aus den Augen, wusste nicht mehr, ob ich überhaupt noch richtig war. Irgendwann hatte ich die Schnauze einfach nur voll. Ich fluchte laut vor mich hin, war wütend auf alles, besonders auf mich selbst. Meinen Pilgerstock setzte ich mehr als Schlaginstrument gegen unschuldiges Buschwerk und Graspflanzen am Wegesrand denn als Gehhilfe ein. Mit meinen schmerzenden Füßen trat ich unkontrolliert gegen alles, was nicht festgewachsen war. Gut, dass mir keiner begegnete. Ich glaube, man hätte mich vorsorglich festgenommen, mit Beruhigungsmitteln vollgestopft und am Bett festgebunden. So habe ich mich noch nie erlebt. Erst als ich nach längerer Zeit wieder einmal ein Pilgersymbol am Wegesrand sah, schaffte ich es, mich zu beruhigen, blieb aber missmutig. „Wer will mich hier eigentlich auf die Probe stellen?“, fragte ich laut. Allen, die es versuchen, rief ich zu: „Spart es Euch! Ich lasse mich nicht zermürben, von niemandem!“ Ich sollte nur schleunigst lernen, wieder die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die wäre heute gewesen, in La Châtre zu bleiben. Das wusste ich nun, nur war es zu spät. So musste ich trotz inzwischen brennender Zehen weitermarschieren. Für die Sehenswürdigkeiten am Wegesrand, allen voran Schloss Sarzay hatte ich lediglich einen flüchtigen Blick übrig. Am heutigen Tag versank alles im grauen Einerlei. Quälend lang zogen sich die Kilometer. Meine Wut schlug um in Resignation. Nicht die Resignation, die Aufgabe nach sich zieht, sondern die, die mich in mein heutiges Schicksal ergeben ließ. Als jammerndes, in Selbstmitleid versunkenes Häufchen Elend erreichte ich irgendwann Neuvy-Saint-Sépulcre, fast 38 km hatte ich zurückgelegt.
Freude wollte trotzdem keine aufkommen. Wo bitte sollte ich in diesem gottverlassenen Nest eine Unterkunft finden? Alles geschlossen! Herzlichen Glückwunsch, es ist Feiertag! Auch das noch! Nein, mir war ganz und gar nicht nach Feiern zumute. „Verdammt, verdammt, verdammt! Ich könnte kotzen!“, schoss es aus mir heraus.
Vorbei an der unförmigen Rundkirche, die der UNESCO einen besonderen Schutz Wert ist, suchte ich entlang der menschen- und autofreien Straßen nach einem Hinweis auf ein Gästezimmer. 10 Minuten später stand ich vor dem Tor eines Gite de Groupe. Der 2 Meter hohe Zaun ließ keinen Blick in den Garten zu, aber das Tor war zu öffnen. Keiner da! Dafür steckte ein Schlüssel in der Haustür – von außen wohlgemerkt. Diese Einladung nahm ich an und fand mich in einer großen Gemeinschaftsküche wieder. Es war offensichtlich, dass sie zu einer Art Pilgerherberge gehört. Erleichtert ließ ich meinen Rucksack fallen, den ich den ganzen Tag über nicht einmal von meinem Rücken genommen hatte und sank auf einen Stuhl. Ich saß, war jedoch völlig konsterniert. Nach ein paar Minuten raffte ich mich auf, erklomm die Treppe ins Dachgeschoss und befand mich in einem Schlafsaal mit 10 viel zu schmalen Metallrohr-Betten. Wenigstens war ich allein hier. Charme hat die Unterkunft nicht, aber das ist mir so was von egal. Die Zettel an der Pinnwand konnte ich nicht lesen, aber ich blieb natürlich, obwohl ich gewissermaßen ein Einbrecher war. Nur raus aus meinen Klamotten und den Schuhen! Die Socken klebten an meinen Zehen fest und ließen sich nur unter höllischen Schmerzen lösen.
Darunter kam frisches rohes Fußhackfleisch z um Vorschein. Alle 5 Zehen sind wundgescheuert. Beim Waschen der Socken färbte sich das Wasser tiefrot, es bedurfte 5 Waschgänge, bis es sich nicht mehr eintrübte. Selbst das Papier, was ich in die Schuhe stopfte, war blutgetränkt, als ich es wieder rauszog. Das war der pure Masochismus. Zum wiederholten Mal am heutigen Tag stieg Wut in mir hoch. „Setz deinen Verstand ein!“, maßregelte ich mich. Ich richtete meine Wut ausschließlich gegen mich selber, wenigstens da lag ich richtig!
Erst durch die heiße Dusche verflog mein Ärger etwas. Mit sauberen, trockenen Klamotten fühlte ich mich vorübergehend besser. Allerdings ist es kalt im ganzen Haus und eine Mahlzeit war auch nirgendwo zu bekommen. 2 trockene Scheiben Brot, 2 Äpfel, 2 Müsliriegel und eine Tüte Cashew-Kerne waren alles, was ich noch hatte. Eine gute Basis für den nächsten Tag sieht anders aus. Es fällt mir überhaupt schwer, daran zu denken, morgen auch nur einen Schritt zu
Weitere Kostenlose Bücher