Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
tun.
Als i-Tüpfelchen kam am frühen Abend ein junger französischer Pilger in die Herberge und belehrte mich, kaum dass er den Raum betreten hatte, ich solle gefälligst französisch mit ihm sprechen, wenn ich mich schon in „seinem“ Land aufhalte. Na, so ein arroganter Pinsel hatte mir gerade noch gefehlt. Wir verzichteten in der Folge auf Kommunikation, nach dem freudlosen Verzehr meiner Essensreste verschwand ich noch schnell in eine Telefonzelle, um mir mit einem Anruf bei Wiebke wenigstens einen Lichtblick an diesem grauen Tag zu holen. Nun ist es 20:30 Uhr, ich werde direkt das Bett aufsuchen, den mit Abstand angenehmsten Ort des Tages. Ich nehme mir vor, ab sofort wieder die richtigen Entscheidungen zu treffen und meine Konsequenzen aus den heutigen Fehlern zu ziehen. Dann werde ich hoffentlich im Nachhinein über diesen Tag mal irgendwann schmunzeln können. Für morgen wünsche ich mir nur Sonnenschein und neue Kraft!
Luxusquartier am Ende eines besch… Tages
Tag 37, Neuvy-Saint-Sépulcre – Cluis 8 km
Was für eine Nacht. Sage und schreibe 13 Stunden verbrachte ich in dem 20 cm zu kurzen und extrem schmalen Bett. Meinen Schlaf würde ich als komatös bezeichnen. Am liebsten wäre ich weiter liegen geblieben, aber ich hatte den festen Willen, von diesem Ort weg zu kommen, zumal der Franzose einen Ruhetag einlegen wollte, soviel konnte ich verstehen. Meine Füße sahen bzw. sehen immer noch fürchterlich aus, in Schuhen werde ich die nächsten 2 Tage sicher nicht gehen können. Gut, dass ich gescheite Sandalen dabei habe.
Zunächst kaufte ich mir ein opulentes Frühstück zusammen. Was hatte ich einen Schmacht und was war es eine Freude, mich satt essen zu können. Erst gegen Mittag raffte ich mich auf, die Herberge hinter mir zu lassen. Ich bin mir sicher, dass es wichtig war, heute wenigstens ein kurzes Stück zu gehen, obwohl ich keinerlei Motivation verspürte. Die Überwindung war riesig. Jedoch hatte ich erstens keine Lust, den Tag gemeinsam mit dem Franzosen zu verbringen, und zweitens hoffte ich auf eine schöne Unterkunft zum Wunden lecken im nur 8 km entfernten Cluis.
Der Franzose scheint außer pilgern und schlafen ausschließlich zu kochen. Gestern stand er direkt nach seiner Ankunft 2 Stunden am Herd, ohne sich vorher frisch zu machen und auch heute Morgen benötigte er über eine Stunde, um sein Frühstück zuzubereiten. Als ich am Mittag losging, kam er gerade vom Einkaufen zurück und begab sich gleich wieder an den Ofen. Da kann ich nur sagen, guten Appetit! Na ja, jeder so wie er lustig ist.
Schon nach ein paar Schritten wäre ich am liebsten umgekehrt. Die Zehen brannten, ich fühlte mich schlapp und ausgelaugt. Selbst 8 km schienen mir weit weg, eigentlich ein Witz. Immerhin, es regnete nicht und es war deutlich milder geworden, beinahe drückend. Die Sonne ließ sich zwar nicht blicken, aber das wäre wohl etwas zu viel verlangt gewesen.
Vorbei an einer in meinem Reiseführer nicht näher beschriebenen Burgruine landete ich gegen 14 Uhr nach einem wenig vergnüglichen Marsch entlang der D38 in Cluis. Im ersten Haus mit einem „Chambre d’Hôtes“-Schild klopfte ich an und hatte gleich Glück, ich bekam ein günstiges Einzelzimmer. Mehr noch, es handelt sich sogar um einen kleinen Holzbungalow mit einer eigenen kleinen Veranda. Mein Herz machte ein paar kräftige Freudensprünge, als ich meinen Rucksack auf das Bett warf. Genau so etwas hatte ich mir für heute erhofft. Ich war überzeugt, dass das Blatt sich zu wenden beginnt, jedenfalls beglückwünschte ich mich spontan zu meiner richtigen Entscheidung. Dies ist ein herrlicher Ort zum Seele baumeln lassen, Beine ausstrecken – und endlich mal wieder Wäsche waschen. Die hatte es nach den vergangenen 2 Tagen echt nötig. Mehr wollte und brauchte ich heute nicht zu meinem Glück. Nach 2 Stunden Halbschlaf suchte ich die kleine Dorfkirche auf, um mir bei einer kurzen inneren Einkehr neue Mental-Power zu holen. Jede Hilfe tut gut! Im Ort Cluis gab’s ansonsten nichts zu entdecken, daher kehrte ich nach kurzer Zeit mit einem Sack voller Lebensmittel in meine Oase der Ruhe zurück. Die kleine Wohnbaracke ist übrigens im großzügigen Innenhof einer alten Villa gelegen, die ein holländisches Ehepaar aus Den Haag vor 4 Jahren bezogen hat und nun als Pension, nicht nur für Pilger, betreibt. Besonders der Garten ist wunderschön und lädt zum Entspannen geradezu ein.
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